Artus-Chroniken 3. Arthurs letzter Schwur
Träume sind wie Lieder. Ihre Aufgabe ist es nicht, ein exaktes Abbild der Welt zu zeichnen, sondern die Idee davon. Der Wald sagt mir, glaube ich, daß
Merlin gefangen ist.«
»Von Nimue«, sagte ich, denn mir wollte sonst niemand einfallen, der es wagen könnte, den Druiden herauszufordern.
Es fiel mir schwer, jetzt an Merlin und Nimue auch nur zu denken. Seit Jahren lebten wir inzwischen ohne sie, und unsere Welt hatte dadurch zu recht festen Grenzen gefunden. Sie wurde durch Mordreds Existenz begrenzt, durch Meurigs Ambitionen und durch Arthurs Hoffnungen, nicht aber durch die nebelhaften, wirbelnden Ungewißheiten von Merlins Träumen. »Nimue erträumt sich aber doch dasselbe wie Merlin«, wandte ich ein.
»Nein, Lord«, erwiderte Taliesin leise, »das tut sie nicht.«
»Sie will, was er will«, beharrte ich. »Die Götter zurückholen.«
»Aber Merlin«, entgegnete Taliesin, »hat Arthur Excalibur gegeben. Begreift Ihr denn nicht, daß er mit diesem Geschenk einen Teil seiner Macht auf Arthur übertragen hat? Ich habe lange über dieses Geschenk nachgedacht, denn Merlin wollte es mir nie erklären, aber ich glaube, daß ich es jetzt verstehe. Wenn die Götter versagen, könnte es sein, daß
Arthur Erfolg hat, das wußte Merlin. Und Arthur hatte Erfolg, aber sein Sieg bei Mynydd Baddon war nicht vollständig. Die Insel Britanniens blieb dadurch zwar in britannischer Hand, aber die Christen wurden nicht besiegt, und das ist eine Niederlage für die alten Götter. Nimue, Lord, wird diesen halben Sieg niemals hinnehmen. Für Nimue heißt es, die Götter oder gar nichts. Es kümmert sie nicht, welche Schrecken über Britannien hereinbrechen, solange die Götter zurückkehren und ihre Feinde schlagen, und um das zu erreichen, Lord, will sie Excalibur. Sie begehrt jeden winzigsten Zipfel der Macht, so daß die Götter, wenn sie die Feuer wieder entzündet, gar keine andere Wahl haben werden, als darauf zu reagieren.«
Nun begriff ich. »Und mit Excalibur«, sagte ich, »will sie Gwydre.«
»Das will sie allerdings, Lord«, bestätigte Taliesin. »Der Sohn eines Herrschers ist eine Quelle der Macht, und Arthur ist, ob er es will oder nicht, noch immer der berühmteste Herrscher Britanniens. Hätte er je zugestimmt, König zu werden, Lord, wäre er zum Großkönig ernannt worden. Und deshalb will sie Gwydre.«
Ich starrte auf Taliesins Profil. Er schien das heftige Schaukeln des Bootes tatsächlich zu genießen. »Warum erzählt Ihr mir dies alles?«
fragte ich ihn.
Meine Frage schien ihn zu verwundern. »Warum sollte ich es Euch nicht erzählen?«
»Weil Ihr mich ermahnt, Gwydre zu beschützen«, antwortete ich.
»Und wenn ich Gwydre beschütze, verhindere ich die Rückkehr der Götter. Während Ihr, wenn ich mich nicht irre, die Rückkehr der Götter begrüßen würdet.«
»Das stimmt«, räumte er ein, »aber Merlin hat mich gebeten, es Euch zu erzählen.«
»Warum sollte Merlin wollen, daß ich Gwydre beschütze?« begehrte ich zu wissen. »Er will doch, daß die Götter zurückkehren!«
»Ihr vergeßt, Lord, daß Merlin zwei Wege voraussah. Der eine war der Weg der Götter, der andere war der Weg der Menschen, und Arthur ist der zweite Weg. Wenn Arthur vernichtet ist, bleiben uns nur noch die Götter, und Merlin weiß, wie ich glaube, daß die Götter uns nicht mehr hören. Denkt doch an das, was Gawain zugestoßen ist.«
»Er wurde getötet«, sagte ich bedrückt, »aber er hat sein Banner in die Schlacht getragen.«
»Er ist gestorben«, korrigierte Taliesin mich, »und wurde anschließend in den Kessel von Clyddno Eiddyn gelegt. Er hätte ins Leben zurückkehren müssen, Lord, denn das ist die Macht des Kessels, aber er kehrte nicht zurück. Er begann nicht wieder zu atmen, und das bedeutet zweifellos, daß die alte Magie dahinschwindet. Sie ist nicht tot, und ich vermute, daß sie noch sehr viel Schaden anrichten kann, bevor sie stirbt, doch Merlin will uns, glaube ich, mitteilen, daß wir uns an die Menschen halten sollen, wenn wir glücklich werden wollen. Nicht an die Götter.«
Ich schloß die Augen, weil eine riesige Woge schaumweiß am hohen Bug des Bootes zersplitterte. »Wollt Ihr behaupten, daß Merlin versagt hat?« fragte ich ihn, als die Gischt wieder verschwunden war.
»Merlin wußte, glaube ich, daß er versagt hat, als der Kessel Gawain nicht wieder zum Leben erweckte. Warum hätte er den Leichnam sonst nach Mynydd Baddon bringen sollen? Wenn Merlin auch nur einen Herzschlag
Weitere Kostenlose Bücher