Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
nicht wirklich, dass er in den Entwässerungsgraben fällt und klatschnass wird. Sie haben ihn nicht vor Schadenfreude ausgelacht. Wahrscheinlich hatten Sie selbst ein wenig Angst wegen dem, was Sie angerichtet hatten …«, sagte Jess. »Ich bin ein Zwilling«, fuhr sie fort. »Mein Bruder und ich verbrachten eine Menge Zeit miteinander, und die meiste Zeit davon stritten wir uns. Was nicht heißt, dass wir uns nicht sehr nah waren – wir sind es heute noch.«
»Oh. Ich verstehe.« Kit schien sich ein wenig zu entspannen. Als sie ihre Geschichte fortsetzte, redete sie gelassener. »Wir wurden größer. Ich wurde erwachsen. Ich ging fort aufs College. Gervase zog mit dem Rucksack durch die Welt, dann hing er in Key House herum und machte nichts. Ich weiß nicht warum, schließlich kam er mit seinem Vater überhaupt nicht aus. Keine Ahnung, warum er nicht in eine eigene Wohnung gezogen ist. Aber Gervase hatte schon immer seine eigenen Gründe für sein Verhalten. Wie dem auch sei, er entwickelte ein Interesse für Autos. Er trank Alkohol. Er verursachte einen Unfall. Die Sache wurde auf kleiner Flamme gekocht, und Gervase bekam einen neuen schnellen Wagen.«
Kit stockte. Sie errötete, dann fuhr sie fort. »Ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber ich habe mich oft gefragt, ob Sebastian nicht irgendwie versuchte, seinen Sohn zu besänftigen. Nicht, um irgendwas wiedergutzumachen wegen seiner beschissenen Kindheit. Irgendwie hatte Gervase Macht über den Alten, und er genoss es, ihn das spüren zu lassen.«
»Wenn Gervase sein einziges Kind war … So etwas kann ein starkes Machtmittel sein«, regte Jess an.
»Nein, nein, das war es nicht. Ich … Ich weiß es nicht. Vielleicht bilde ich mir alles nur ein. Wie dem auch sei, es kam der nächste Unfall, und meine Schwester war mit ihm im Wagen. Ich hatte die Tatsache übersehen, dass Petra ebenfalls erwachsen geworden war, und ich … Ich hätte sie warnen müssen wegen Gervase. Ihr sagen, dass sie sich von ihm fernhalten soll. Er machte eine wilde Zeit durch, und Petra musste da nicht mitmachen. Aber am Ende war sie dabei. Sie waren auf der gleichen Party gewesen, und er wollte sie nach Hause fahren. Leider sind sie nie dort angekommen. Sie haben meine Schwester gesehen. Das war Gervase. Er hat sie in den Rollstuhl gebracht. Sie war noch nicht ganz achtzehn damals. Ich kann ihm nicht verzeihen. Ich werde ihm niemals verzeihen.« Kit nahm ihren Kaffee und trank langsam davon.
Jess wartete geduldig. Endlich stellte Kit ihren leeren Becher ab.
»Petra hat ihm verziehen. Petra war schon immer gutmütig und umgänglich. Ich gehöre zur nachtragenden Sorte. Ich war wütend, als Gervase vor ein paar Tagen hier auftauchte, kurz nach dem Feuer, und Petra besuchte. Wie konnte er so etwas tun? Wie dem auch sei, heute Morgen ist er wieder bei ihr aufgekreuzt. Ich war auch da. Er meinte, er wäre froh, uns beide zu sehen. Er war gekommen, um uns zu erzählen, dass ihm jemand einen Drohbrief geschickt hätte. Er sagte, er hätte ihn der Polizei übergeben. Ist das wahr?«
Kit pausierte, um Jess fragend anzusehen. »Es ist nämlich so, wissen Sie – manchmal erzählt Gervase auch Geschichten. Er zieht einen auf. Er hat einen schrägen Sinn für Humor, und man kann ihm kein Wort glauben. Ich habe erst jetzt herausgefunden, dass die Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe – ich meine die über das Gespenst von Key House –, einer von seinen derben Streichen war. Ich meine, nicht, dass ich geglaubt hätte, dass es in Key House ein Gespenst gab. Aber ich dachte, es gäbe eine Legende, verstehen Sie? Und das habe ich Ihnen erzählt. Und dann, als ich im Royal Oak war, um ihn wegen Petra zur Rede zu stellen, erfahre ich, dass er die Geschichte damals nur erfunden hat.«
Jess lächelte sie an. »Es ist nicht weiter schlimm, wirklich nicht. Diese Geschichte ist nicht Teil unserer Ermittlungen.«
»Nein, natürlich nicht. Wer auch immer diesen armen Mann bewusstlos geschlagen und im Feuer zum Sterben liegen lassen hat, war bestimmt kein Gespenst. Aber es betrifft mich, verstehen Sie, weil Gervase mich an der Nase herumgeführt hat und weil ich das schon immer gehasst habe. Deswegen muss ich wissen, ob er tatsächlich einen anonymen Drohbrief erhalten hat oder ob das wieder einer von seinen Streichen ist. Ich will mich nicht wieder vor Ihnen zur Närrin machen.«
»Er hat uns einen anonymen Brief übergeben«, sagte Jess leise.
»Dann stimmt es also.« Kit atmete tief durch.
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