Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
anfangen schiefzugehen, dann gehen sie immer weiter schief, immer und immer mehr. Verstehen Sie, was ich meine? Die falschen Dinge türmen sich aufeinander auf, immer höher …« Sie winkte zu einem unordentlichen Haufen alter Zeitungen, um zu verdeutlichen, was sie meinte. »Es fängt mit einer Sache an, und es endet mit Dutzenden, die alle schiefgehen, gründlich schiefgehen.«
»Wenn wir den Zeitungsstapel in Augenschein nehmen, Miss Pickering, finden wir dann möglicherweise herausgeschnittene Buchstaben?«, fragte Carter.
»So weit bin ich noch nicht«, sagte Muriel verbittert. »Ich habe noch gar nicht angefangen.«
»Bevor Sie das tun, muss ich Sie warnen«, sagte er. »Sie sind nicht verpflichtet, uns irgendetwas zu erzählen. Aber wenn Sie das nicht tun und uns etwas verschweigen, auf das Sie sich später vor Gericht stützen wollen, kann das Ihrer Verteidigung schaden.«
»Bei so einer Warnung kann man gar nicht verlieren, wie?«, entgegnete Muriel mit ihrer üblichen Schroffheit.
Carter lächelte nur.
Sie blinzelte. »Sie sind ein gut aussehender Bursche, wie?«, bemerkte sie, indem sie ihn von oben bis unten musterte.
»Sie sind zu freundlich, Miss Pickering«, antwortete Carter.
»Nein, bin ich nicht. Ich war nie freundlich. Sind Sie verheiratet?«
»Nein. Ich war es einmal.«
»Geschieden, wie? So ist das heute. Die Leute brechen aus ihren Ehen aus, wenn es nicht so läuft, wie sie wollen.« Muriel runzelte die Stirn. »Ich war nie verheiratet. Ich hätte es vielleicht tun sollen. Hab ich aber nie. Deswegen sitze ich hier und Sie sitzen da und alles ist zur Hölle gegangen, wie Vater immer zu sagen pflegte.«
Jess hatte ihren kleinen Rekorder hervorgezogen. Muriel gab keinen Kommentar dazu ab bis auf ein verächtliches Schnauben.
»Lassen Sie sich Zeit, Miss Pickering«, sagte Jess.
»Zeit? Zeit bedeutet nichts. Nichts ändert sich jemals wirklich. Das macht es auch so schwierig zu sagen, wann genau die Dinge überhaupt angefangen haben. In gewisser Hinsicht waren sie schon immer da. Sie wachsen einfach, wie Pflanzen, aus kleinen Samenkörnern … wenn Sie verstehen, was ich meine?«
Jess rutschte in ihrem Sessel unter Muriels scharfem Blick unruhig hin und her. »Ja. Ja, ich denke doch«, brachte sie hervor. Sie spürte, wie Carter sie ansah. »Sagen wir, es fing alles mit Sebastian Crown an – oder noch davor, mit Ihrem Vater?«
Muriel legte die Stirn in finstere Falten. »Sebastian Crown? Ja, da haben Sie wohl recht. Eine ganze Menge von dem, was passiert ist, hat er zu verantworten …« Unerwartet verzog sich ihr wettergegerbtes Gesicht zu einem Grinsen. »Ich habe auf seinem Grab getanzt«, sagte sie.
»Ich verstehe, dass Sie nicht traurig waren, als Sie von seinem Tod erfuhren.«
»Nein, nein, Sie verstehen mich falsch!«, fuhr ihm Muriel über den Mund. »Ich meinte das nicht im übertragenen Sinn. Ich bin nicht so eine blumige Rednerin. Ich meine es wörtlich. Ich habe auf seinem Grab getanzt. Ich bin nach Weston St. Ambrose auf den Kirchhof gefahren und auf dem Stein herumgesprungen, den sie über seine Asche gelegt haben. Als niemand in der Nähe war, der mich hätte sehen können.«
Carter legte eine Hand über den Mund. Hamlet versteifte sich und starrte ihn misstrauisch an.
»Muriel, warum erzählen Sie uns nicht von dem Tag, an dem Warwick überfahren wurde?«, fragte Jess leise.
»Sie haben das also auch rausgefunden, wie?« Muriel nickte ihr zu. »Ich muss schon sagen, Ihnen entgeht nicht viel. Sie sind eine ausgemachte Expertin unter den Schnüfflern, wie? Jedenfalls, es war das Werk dieses jungen Taugenichtses Gervase Crown, was sonst. Was die Crown-Männer auch anstellen, sie verursachen nichts als Kummer. Gervase war damals vielleicht neunzehn, zwanzig Jahre alt. Er war jung, aber bei Weitem nicht unschuldig oder harmlos. Er hatte zu tief ins Glas geschaut, wie ich hinterher erfuhr. Ich war mit Warwick draußen, meinem damaligen Hund. Er war ziemlich alt und steif in den Gelenken, deswegen gingen wir nicht mehr weit und waren immer nur langsam unterwegs. Aber er war gerne draußen und liebte es, ausgiebig zu schnüffeln.«
Muriels Stimme klang traurig, und ihre Augen waren feucht. »Die Straße war leer, alles war friedlich, die Vögel sangen in den Bäumen und so weiter. Dann tauchte Gervase auf. Er raste wie ein geölter Blitz über die Straße auf uns zu, wie ein Irrer! Ich brachte mich mit einem Sprung in die Hecke in Sicherheit und verfing mich in einem
Weitere Kostenlose Bücher