Asche zu Asche
„Was zur Hölle ist das?“
Nathan antwortete nicht, sondern lief zu den Türen, die ins Esszimmer führten.
Bevor er sie öffnen konnte, flogen sie nach außen auf, alshätte eine kräftige Windböe sie aufgestoßen. Aber im Esszimmer gab es noch nicht einmal Fenster, also musste die Kraft aus einer übernatürlichen Quelle stammen. Nathan fiel hinten über, und ich musste ihm helfen, wieder aufzustehen.
„Verdammte Scheiße!“, flüsterte Max mit weit aufgerissenen Augen.
Ich folgte seinem Blick durch die geöffneten Türen. Bella hing leblos in der Luft, als wäre sie an einem unsichtbaren Kruzifix befestigt. Ein gespenstischer Wind wirbelte um ihren Körper herum, und die verschiedenen Dinge, die sie zuvor auf dem Tisch ausgebreitet hatte, flogen in dem Wirbel umher wie in einem Wasserstrudel. Es wirkte so, als drehten sie sich um Bella wie in einem Mobile. Beinah sah alles aus wie ein fröhliches Spielchen: Alles wogte und bebte, nur gelegentlich wurde ein Hühnerknochen aus seiner Bahn geworfen und zerschellte an einer der Zimmerwände.
Bellas Kopf, der zunächst wie tot und schwer auf ihrer Brust gelegen hatte, schnellte hoch. Ihre Augen, die normalerweise außerordentlich goldfarben schienen, waren blutunterlaufen, ihre olivfarbene Haut war blass und die Lippen blau wie bei einer Leiche. Während wir drei sie anstarrten, entweder zu Tode erschrocken oder ungläubig oder gar beides, begannen Bellas Lippen sich zu bewegen.
Aber die Stimme, die aus ihrem Mund kam, war nicht Bellas.
Es war die des Orakels.
4. KAPITEL
Das Orakel
„Ihr habt nach mir gesucht, und nun habt ihr mich gefunden, Kinder.“
Die Stimme, die ich außerhalb meines Kopfes erst ein einziges Mal gehört hatte, sorgte dafür, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. Sogar als das Orakel unter der Kontrolle der Bewegung gewesen war und unter starken Beruhigungsmitteln gestanden hatte, war es dazu in der Lage gewesen, Anne umzubringen, eine von Max’ wenigen Freunden in der Zentrale. Und mir hatte es fast das Genick gebrochen. Wenn es von dem Ort aus, an dem es sich befand, Bella etwas antun konnte, dann waren auch wir in Gefahr.
Nathan griff nach mir und schob mich hinter seinen Rücken, als könne er mich vor ihrer Wut beschützen.
Bellas Kopf drehte sich zu uns, und ihre blutunterlaufenen Augen fixierten Nathan: „Beweg dich nicht noch einmal.“
„Tu, was sie sagt, Nathan“, riet Max, „sie bringt dich sonst um.“
Bellas Augen blickten Max an. „Ich kenne dich.“
„Ja, du kennst mich. Und du befindest dich gerade in dem Körper einer Freundin von mir.“ Max machte einen Schritt auf sie zu. „Und du wirst diesen Körper verlassen müssen.“
„Du hast Angst vor mir, Vampir?“ Bellas Kopf sank auf ihre Brust zurück, schnellte aber einen Augenblick später wieder hoch. „Über dich habe ich im Moment keine Macht. Jeder Schaden, den du mir in dieser Form antun willst, wird nur sie treffen.“
„Wenn du keine Macht hast, wieso bist du dann hier?“, fragte ich und bemühte mich, vernünftig zu klingen. Sie hatte zwar schon einmal versucht, mich umzubringen, mir damalsaber auch wichtige Informationen gegeben, wie ich Cyrus finden konnte. Es war also unwahrscheinlich, dass sie auf diese dramatische Weise Kontakt mit uns aufnahm, nur um uns anschließend umzubringen.
„Hört mir gut zu, Vampire. Die Zeit eurer Herrschaft geht nun zu Ende. Diejenigen, die sich dem widersetzen, werden getötet. Diejenigen, die gehorchen, werden verschont bleiben. Das Chaos wird regieren, die Ordnung wird vernichtet werden. Stellt euch mir nicht in den Weg, dann werdet ihr am Leben bleiben.“ Bellas Arm bewegte sich. Es schien, als verliere das Orakel die Macht über ihren Körper.
„Was ist, wenn wir dir helfen?“ Nathan ging einen Schritt vorwärts. „Wenn wir dich nicht aufhalten, werden wir überleben. Aber wenn wir dir helfen, was ist dann? Wirst du uns aufnehmen?“
Wir hörten ein lautes Lachen, aber es stammte nicht von Bella. Ihr Kopf fiel wieder nach vorn, ihr Körper sank in sich zusammen. „Ihr wollt mir helfen?“
„Das ist besser, als zu sterben.“ Nathan zuckte mit den Schultern, als sei ihm beides gleichgültig. „Jedenfalls ist es besser, als zu versuchen, gegen dich zu kämpfen.“
„Dieser Pfad wird in den Tod führen“, warnte uns das Orakel. Seine Stimme, die nun keinen Körper mehr hatte, durch den sie erklang, erschütterte die Wände des Esszimmers. „Wenn ihr mein Wohlwollen wünscht, dann
Weitere Kostenlose Bücher