Aschebraut (German Edition)
breitbeinigen, vollmundigen Pracht. »Ja?«
Sie räusperte sich. »Du meinst mit einer persönlichen Beziehung doch wohl nicht …«
Er starrte sie mit großen Augen an, und sie versuchte es noch mal.
»Du und Annette … ihr seid doch wohl nicht … ich meine, Annette ist sehr zerbrechlich, und nach allem, was sie Larrys wegen durchgemacht hat, würde ich es schrecklich finden, wenn ihr noch einmal jemand weh tut.«
»Weshalb sollte ich ihr weh tun?«
»Also bitte, Trent«, fing Brenna an, bevor ihr Blick auf seine Pinnwand fiel.
In den sechs Jahren seiner Tätigkeit für sie hatte Trent die Pinnwand ausnahmslos mit Bildern von sich selbst am Strand, in irgendwelchen Clubs oder vor schicken Sportwagen, die zufällig am Straßenrand gestanden hatten, wenn er auf dem Heimweg aus besagten Clubs gewesen war, geschmückt. Immer hatte man ihn auf den Aufnahmen mit ganz oder zumindest teilweise entblößtem Oberkörper neben irgendeiner spärlich bekleideten Schönheit, deren Blick gewirkt hatte wie der von einem Reh, das in die Scheinwerfer eines heranbrausenden Wagens blickt, stehen sehen. Und jetzt waren all diese Bilder plötzlich nicht mehr da.
Stattdessen hingen dort nur noch Fotografien von Persephone.
»Mrs Shelby sagt, es ist nicht schlimm, dass ich sie bisher nicht gefunden habe«, erklärte Trent. »Sie sagt, dass wir ruhig weitersuchen können – ganz egal, wie lange es am Ende dauert. Aber manchmal gehe ich abends ins Bett und kann nicht schlafen, weil ich daran denken muss, dass sie ganz allein irgendwo dort draußen in der Kälte ist. Ihre großen, traurigen Augen bringen mich noch um.«
»Du meinst, die von Persephone.«
»Von wem denn sonst?«
Brenna lächelte. »Von niemandem.«
»Ist ja auch egal.«
»Hör zu«, bat Brenna ihn. »Es ist gut, dass sie dir wichtig ist. Es ist vollkommen normal, dass man das Schicksal der vermissten Person … des vermissten Wesens, das man sucht, nicht auf die leichte Schulter nimmt. Das passiert mir jedes Mal.«
»Obwohl du diesen Job jetzt schon so lange machst?«
»Du weißt, dass es so ist«, erwiderte sie und hörte plötzlich wieder Lula Belle und das Lied von dem Zementmischer …
Draußen auf der Treppe wurden Schritte laut. Maya. Brenna konnte deutlich hören, dass es ihre Tochter war – für ein so dünnes Mädchen waren ihre Schritte ungewöhnlich schwer. Sie dachte an die unbeholfene Unschuld dieser Schritte, an das scheue Lächeln und die Art, in der Maya, wenn sie vor sich hin träumte, an ihren Haaren zog, und empfand eine gewisse Wehmut, weil dies nur die letzten, schwachen Überreste der inzwischen fast vergangenen Kindheit waren.
Doch natürlich war auch Maya längst noch nicht bereit, sich vollends von dieser Phase ihres Lebens zu verabschieden. Erst vor kurzem hatte Brenna, als sie sauber machen wollte, den Beweis dafür in Mayas Buchregal entdeckt. Ihre Tochter hatte ihn sorgfältig hinter all den vollen Zeichenblöcken und den Comic- und den Mangabüchern, die sie mit Begeisterung verschlang, versteckt. Die kleine Raupe Nimmersatt. Als sie vier gewesen war, war dies ihr Lieblingsbuch gewesen – und sie hatte sich mit seiner Hilfe praktisch selbst das Lesen beigebracht. Am 19. November 2004, als Maya achteinhalb gewesen war, hatte Brenna dieses Buch jedoch mit all den anderen Bilder- und Erstlesebüchern in einen Karton verpackt und als Spende in die Bibliothek gebracht. Und nun, fünf Jahre später, war es plötzlich wieder da. Genau dasselbe Buch, das sie hatte verschenken wollen, obwohl der Einband dick mit Mayas Kindergartenkrakeleien bedeckt gewesen war. Sie hat es also zurückstibitzt, hatte Brenna lächelnd festgestellt. Ihren Fund der Tochter gegenüber allerdings mit keinem Wort erwähnt. Und das würde sie auch niemals tun. Denn jeder Mensch brauchte seine Geheimnisse.
Maya schloss die Wohnungstür mit ihrem eigenen Schlüssel auf, und Brenna blickte abermals auf Lula Belle. »Könntest du das Bild vielleicht ein bisschen kleiner machen?«, bat sie Trent.
»Na klar.«
Gerade als die Tür geöffnet wurde, klingelte das Telefon, und Trent ging an den Apparat.
Maya ließ den Rucksack mit den Büchern achtlos fallen und marschierte schnurstracks auf den Kühlschrank zu. »Hi, Mom. Hi, Trent.«
Brenna kam es vor, als wäre sie ein gutes Stück gewachsen, seit sie morgens aus dem Haus gegangen war. Sie war noch nicht mal vierzehn, näherte sich aber Brennas eins dreiundsiebzig bereits deutlich an.
»Hallo, Schatz.
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