Aschebraut (German Edition)
wahr. Sein Herz fing an zu rasen, seine Hände wurden feucht, und er war aufgeregter als ein Teenager vor seinem allerersten Date.
Obwohl er es kaum erwarten konnte, dass der Lift endlich den sechsten Stock erreichte, war er gleichzeitig total nervös. Und zwar nicht nur, weil sich sein Traum von einer Regisseurkarriere bald erfüllen sollte. Sondern auch oder vor allem, weil er gleich der wunderbaren Lula Belle persönlich gegenüberstehen, weil er ihr Gesicht und ihre Augen sehen würde. Denn das hatte bisher schließlich kaum ein Mann.
Bei diesem Gedanken zog sein Magen sich zusammen. Wie würde sie ihn wohl ansehen? Respektvoll? Dankbar?
Oder wäre sie vielleicht enttäuscht?
Um nicht mehr darüber nachzudenken, stellte er sich Spielberg vor, wie er zum ersten Mal Kate Capshaw am Set von Indiana Jones und der Tempel des Todes begegnet war. Wie hatte dieses blonde, strahlende Geschöpf – ein Star oder ein Stern im wahrsten Sinn des Wortes, eine Frau, die funkelte und glitzerte und einen regelrecht zu blenden schien – den großen Mann wohl angesehen?
RJ hatte in seinem Leben ein paar dämliche Entscheidungen getroffen. Er hatte den falschen Leuten vertraut, selbst andere enttäuscht und erst nach einer halben Ewigkeit etwas daraus gelernt. Aber spielte das noch eine Rolle? Niemand war perfekt. Nicht einmal Spielberg. Und noch nicht mal Louise Hay. Vielleicht waren all die Male, wenn er irgendwas vermasselt hatte, wie die Handlungspunkte eines Films. Vielleicht hatte einfach eins zum anderen geführt, bis er am Ende hier gelandet war. Von Angesicht zu Angesicht mit einem echten Star, kurz vor Fertigstellung des Projekts, das ihm den großen Durchbruch bringen würde. Dass dies beides gleichzeitig und infolge all dieser Ereignisse geschah, war ja wohl Beweis genug dafür, dass er zeit seines Lebens auf dem rechten Weg gewesen war.
»Ich werde mich dir gegenüber anständig verhalten, Lula Belle«, sagte er zu den Stahltüren des Fahrstuhls, während er höher, höher, höher fuhr. »Das verspreche ich.«
Das muss ein Irrtum sein, dachte RJ zuerst, als er in der sechsten Etage ausstieg. Dann weiter: Wo zum Teufel stecken all die anderen?
Um ihn herum sah es wie in einer Kloake aus – auf dem nackten Zementboden türmte sich Müll, und die Wände waren mit wüsten Schmierereien übersät. RJ wusste, dass es Strom in dem Gebäude gab – sonst hätte ja wohl kaum der Fahrstuhl funktioniert. Doch hier im sechsten Stock, in dem sich nur ein bisschen fahles Licht durch ein paar schmale Fenster kämpfte, hätte man das nicht gedacht.
»Lula Belle?«
Er folgte den gedämpften Stimmen, die er durch die Tür ganz hinten auf der rechten Seite hörte, und schlurfte in seinen neuen Nikes über den Beton. Dabei sah er einen Berg von Glasscherben an einer Wand neben einem undeutlichen, dunklen Haufen, dessen beißender Gestank ihn würgen ließ, als er daran vorüberging … Das hier ist kein Studio. Und es wird auch nie ein Studio sein.
»Lula Belle?«
»RJ? Bist du das?«, fragte eine Frauenstimme aus dem Nebenraum. Eine Stimme, die einem über die Beine und den Rücken in die Seele kroch, wo sie nie mehr verklingen würde. Lula Belle.
»Ja!«, rief er mit wild klopfendem Herzen.
»Wir sind hier! Hast du den Scheck vom Postamt mitgebracht?«
Er zuckte zusammen, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass er so früh da sein würde, und deshalb noch nicht mal den Schlüssel eingesteckt. »Tut mir leid. Hab ich vergessen.«
»Kein Problem, Baby.«
Baby , wiederholte er mit ehrfürchtiger Flüsterstimme, und das Herz ging ihm vor Freude über. »Dann bist du mir also nicht böse?«
»Ich könnte dir niemals böse sein.«
Schließlich stand er vor der offenen Tür, die in Wahrheit keine offene Tür, sondern nur eine Öffnung war, und atmete tief durch. Er hob die Hand, um sich über das Haar zu streichen, rückte dann aber die Baseballkappe sorgfältig auf seinem Kopf zurecht. Dabei spürte er die Tasche mit der Kamera, die schwer an seiner Schulter hing, und schloss kurz die Augen.
Meine Tätigkeit erlaubt es mir, meiner Kreativität ungehindert Ausdruck zu verleihen. Ich verdiene gutes Geld, indem ich Dinge tue, die ich liebe, betete er Louises Mantra nach, bevor er durch die Öffnung trat.
Links und rechts von ihm bröckelte Putz von schimmeligen Wänden. Aber das war ihm egal. Das Einzige, was zählte, war ihr Anblick, wie sie mitten in dem Zimmer stand und ihren Bademantel auf die Füße gleiten
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