Aschebraut (German Edition)
Ostersonntagsgottesdiensts.
»Welchen Teil von Ich warte bis genau 17 Uhr Ostküstenzeit haben Sie nicht verstanden?«, fragte er, als säße Freeman neben ihm auf dem riesigen Bett im MoonGlow- Hotel an der Ecke 108. / 2. Avenue. Der flehende Ton, in dem er sprach, gefiel ihm nicht. Erbost griff er erneut nach seinem Handy, um bei Gary Freeman anzurufen und die Angelegenheit direkt – von Mann zu Mann – mit ihm zu klären.
Übrigens war das der Grund, warum er vorzugsweise Frauen engagierte. Seine vielen Kritiker – deren größter zwischenzeitlich Brenna Spector war – behaupteten, er hätte einfach Spaß daran, wenn hübsche, junge Dinger die Drecksarbeit für ihn erledigten. Doch darum ging es nicht. Frauen konnten jung und hübsch oder auch alt und hässlich sein, menschlich waren sie auf jeden Fall. Wohingegen Männer Hunde waren. Jeder Einzelne, natürlich auch er selbst. Dumme, schmutzige, von Eifersucht getriebene Tiere, die einander ein ums andere Mal durch schwachsinniges Wettpinkeln beweisen mussten, wer den längsten Schwanz besaß.
Wofür Freeman das perfekte Beispiel war. Er stand mit dem Rücken an der Wand, die Zukunft seiner Ehe lag in Errols Händen, und was machte er? Er ließ Errol neben seinem Handy warten wie ein liebeskrankes Schulmädchen. Wollte vielleicht irgendwer behaupten, dass das auch nur ansatzweise logisch war?
Plötzlich klingelte sein Telefon. Er warf einen Blick auf das Display – eine unbekannte Nummer, doch mit Freemans Vorwahl –, und auch wenn er sich für diese Geste hasste, drückte er sich beide Daumen.
»Ludlow.«
»Hallo, Errol. Ich bin’s, Gary.«
Errol atmete erleichtert auf. »Sie sind zu spät.«
»Das tut mir wirklich leid«, sagte Freeman in verblüffend nettem, fast entschuldigendem Ton. »Ich brauchte ein neues Prepaid-Handy, und ich kam einfach nicht früher weg, um es in Ruhe zu benutzen.«
»Verstehe.« Wer verstand das wohl nicht? Errol räusperte sich kurz. »Also, Gary, sind wir im Geschäft?«
»Ja.«
Errols Herz vollführte einen kleinen Freudensprung.
»Allerdings befürchte ich, dass ich die erste Rate nicht vor Montag überweisen kann. Ich muss meine Konten umsortieren, damit … nun … damit niemand etwas davon mitbekommt.«
Errol grinste. Oh, er liebte den flehenden Ton, in dem der andere mit ihm sprach. »Kein Problem. Dann warte ich eben bis Montag auf das Geld.«
»Ja?«
»Ja.«
»Oh, da bin ich aber froh. Danke. Sie sind wirklich verständnisvoll.«
Meint der Kerl das wirklich ernst? Ob er vielleicht mit einem Mal auf irgendwelchen Drogen war? Während ihres letzten Telefongesprächs – und wenn Errol überlegte, während aller bisherigen – hatte Gary Freeman immer furchtbar kalt geklungen, und jetzt überschlug der Mann sich plötzlich richtiggehend vor Freundlichkeit, obwohl Errol ihn – auch wenn er es durchaus verdient hatte – im Grunde mit der Tatsache erpresste, dass er seine Frau belog.
Zum ersten Mal seit er auf die Idee gekommen war, verspürte Errol leichte Schuldgefühle. Selbstverständlich würden die auch bald wieder vergehen. Aber trotzdem. Irgendetwas an der Sache machte ihm mit einem Mal zu schaffen … vielleicht war ja Freeman als Agent deswegen so erfolgreich, weil er anderen dieses Gefühl vermitteln konnte, wenn was nicht nach seinen Wünschen lief.
»Ich werde mein Möglichstes tun, damit Ihre Frau nie etwas von Lula Belle erfährt«, versicherte Errol ihm.
Es folgte eine lange Pause, in der Gary erst tief Luft zu holen und dann langsam wieder auszuatmen schien.
»Danke. Das weiß ich wirklich zu schätzen.«
»Das ist einfach ein Gebot der Höflichkeit.«
»Ihnen ist anscheinend gar nicht klar, dass Höflichkeit inzwischen etwas sehr, sehr Seltenes ist.«
Errol lächelte sein Handy an. Ich hätte nicht gedacht, dass wir beide uns so ähnlich sind. »Oh, da irren Sie sich, Gary. Das ist mir sehr wohl bewusst.«
»Errol?«
»Ja?«
»Glauben Sie, unter anderen Umständen hätten wir beide Freunde werden können?«
Errol hörte die Melancholie, die bei dem Satz in Freemans Stimme lag. Seltsam. Hatte Gary Freeman vielleicht wie er selbst ab und zu den Eindruck, dass er irgendwie zu groß für seine Umgebung war? Und dieses Gefühl rührte bei Errol nicht von seiner – beachtlichen – Körpergröße her. Die meisten Männer oder eher die meisten Menschen waren häufig derart kleinlich und erschreckend klein im Geist. Das erlebte er tagtäglich im Zusammenhang mit seinem
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