Ascheherz
an ihn und kostete jede Sekunde aus. Erst als sie die Augen öffnete und sah, dass das Morgenrot auf dem Gold des Mosaiks reflektierte, machte sie sich vorsichtig los. »Ich muss gehen, Loved. Aber ich … ich komme wieder. Sobald ich kann.«
Sie wollte sich abwenden, aber er hielt sie an der Hand zurück.
»Summer?« Sie lächelte, als er diesen Namen aussprach. Das bin ich noch, dachte sie. Ebenso sehr wie Tjamad .
Er sah sie traurig an. »Ich meinte es ernst vorhin. Ihr könnt mich einsperren wie ein Tier, aber niemand - niemand! - wird
mich dazu zwingen, zu erzählen, was ich nicht erzählen will. Also frag mich nicht nach dem Richtplatz!«
Es war, als würde sie in eine völlig andere Welt zurückkehren. Aufgewühlt von ihrem Kuss und den Gefühlen, die sie nicht länger leugnen konnte, und hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und Zweifel, fühlte sie sich inmitten der Zorya so fremd, dass sie fürchtete, sie würde sich sofort verraten. »Lord Teremes’ Truppen rücken weiter vor«, erzählte ihr an diesem Tag die braunhaarige Wij aufgeregt. »Lord Joras hat heute Morgen die Truppen noch verstärken lassen, aber lange kann er nicht mehr standhalten.« Sie verstummte und sah Summer hoffnungsvoll und fragend an.
»Ich … brauche noch Zeit«, sagte Summer leise. Würde ich ihn wirklich verraten, wenn er Indigo wäre? Allein der Gedanke erschreckte sie.
Wij legte ihr die Hand auf den Rücken, genau dort, wo ihre unsichtbaren Narben waren, und auch zwei andere Frauen kamen zu ihr, berührten sie sanft an der Schulter und strichen ihr über das Haar. Und plötzlich war es einfach, sich wieder in diese verlockende Nähe der Gemeinschaft einzufinden.
In dieser Nacht vergaß sie offenbar dennoch, dass sie eine Zorya war. Denn sie schlief tatsächlich ein. Und bevor sie sich darüber klar wurde, was sie tat, spürte sie wieder Loveds Lippen auf ihrer Haut, den Kuss, atmete seinen Duft nach Wärme und Wildheit ein und war glücklich. Zu spät sagte ihr eine warnende Stimme, dass es der falsche Ort war, um zu träumen. Im selben Augenblick fasste eine Hand ihre Schulter und rüttelte sie so energisch wach, dass sie hochfuhr.
Beljén war blass und starrte sie aus großen Augen an. Sie legte den Zeigefinger über die Lippen und griff nach Summers Hand. Dann zog sie sie von dem Stein und eilte mit ihr nach draußen und die Treppe hinunter.
»Beljén, ich kann es dir erklären …«
»Scht!«, kam es zurück. »Kein Wort!«
Im nächsten Moment stieß ihre Freundin sie schon in die Kleiderkammer. Das kalte Licht der Glühbirne stach in Summers Augen.
»Du hast davon geträumt, einen Menschen zu küssen«, flüsterte Beljén fassungslos. Summer wurde auf der Stelle rot.
»Ist es etwa der Soldat?«
»Nein! Es ist nur ein Schauspieler aus Maymara, den ich einmal kannte.« Die Lüge war ihr so schnell über die Lippen gekommen, dass sie selbst staunte. »Es ist nur eine Erinnerung, Beljén«, beteuerte sie. »Es hat nichts zu bedeuten.«
»Aber du hast ihn tatsächlich geküsst. Hast du ihn etwa … geliebt? Du? Eine Zorya? Einen Menschen?«
Summer hielt Beljéns bohrendem Blick kaum stand. Sie blickte auf ihre Hände. »Ja«, sagte sie dann.
Beljén holte Luft und ließ sich auf den Stuhl neben den Kleiderhaken fallen. »Lady Mar hat uns gesagt, dass du wahrscheinlich in Indigo verliebt warst. Aber das war etwas anderes. Du warst seine Zorya und er konnte dich umgarnen. Aber wie konntest du denn einen anderen …«
»Ich dachte, ich sei ein Mensch, Beljén. Du kannst es mir nicht zum Vorwurf machen. Ich dachte auch, ich habe Hunger oder kann frieren. Und ich wusste nichts mehr von Indigo. Und noch viel weniger von unseren Gesetzen.«
Beljén sprang auf und legte die Hände auf ihre Schultern. »Ich
mache es dir doch gar nicht zum Vorwurf! Ich will nur nicht, dass die anderen es sehen und Lady Mar erzählen. Sie lässt dir alle Zeit, die du brauchst, aber sie würde unendlich wütend werden, wenn sie wüsste, dass du von Menschenküssen träumst, statt dich endlich an Indigo zu erinnern.« Der Griff an ihren Schultern verstärkte sich. »Du musst vorsichtiger sein!«
Summer hob den Blick. »Wie kann ich das?«
»Indem du nicht mehr schläfst«, sagte Beljén mit verschwörerischer Miene, was ihr herzförmiges Gesicht noch hübscher wirken ließ. »Und … wenn du doch einmal Ruhe brauchst, solltest du einen Ort aufsuchen, an dem die anderen dir nicht zu nahe sind. Komm mit!«
Wenig später waren sie auf
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