Aschenputtel: Thriller (German Edition)
Jimmy klang im Großen und Ganzen zufrieden. Schon am folgenden Tag würde er Besuch von ihren Eltern bekommen.
» Es hätte genauso gut dich treffen können, Peder«, hatte ihre Mutter unzählige Male gesagt. Als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte sie immer ihre warmen Hände um sein Gesicht geschlossen, wenn sie mit ihm redete. » Es hätte genauso gut dich treffen können. Du hättest derjenige sein können, der an dem Tag von der Schaukel fällt.«
Peder konnte sich noch immer glasklar an den Tag erinnern, als sein Bruder von der großen Schaukel gestürzt war, die ihr Vater in einer der Birken im Garten aufgehängt hatte. Er erinnerte sich noch immer an das Blut, das über den Stein rann, auf den Jimmy gefallen war, an den intensiven Geruch des frisch gemähten Rasens und an Jimmy, der dalag und aussah, als würde er schlafen. Und er erinnerte sich daran, wie er hinrannte und versuchte, Jimmys kleinen Kopf zu halten, der doch so schlimm blutete.
» Nicht sterben!«, hatte er geschrien und dabei an das Kaninchen gedacht, das sie einen Monat zuvor mit großer Wehmut begraben hatten. » Du darfst nicht sterben!«
In gewisser Hinsicht war er erhört worden, denn Jimmy war bei ihnen geblieben. Aber er war nie wieder wie früher geworden, und obwohl sein Körper ebenso schnell gewachsen war wie der von Peder, war er ein Kind geblieben.
Peder griff wieder nach seinem Notizbuch. Nein, man wusste niemals, welche Überraschungen das Leben für einen bereithielt. Das wusste er besser als die meisten anderen Menschen. Nicht nur aufgrund dessen, was mit seinem Bruder geschehen war, sondern auch wegen all der unangenehmen Erfahrungen, die er später im Leben gemacht hatte. Um nicht zu sagen: kürzlich. Aber daran wollte er lieber nicht denken.
Er hörte Fredrika draußen auf dem Flur und riss sich zusammen.
Vor ungefähr einer Woche hatte Alex– natürlich im Vertrauen– zu Peder gesagt, dass es Fredrika an Takt und Gespür für den Beruf fehle. Das konnte Peder nur unterstreichen. Fredrika war, um es mal deutlich zu sagen, eine richtig klassische Nervensäge. Sie brauchte ganz dringend einen Kerl, der es ihr in regelmäßigen Abständen mal so richtig besorgte. Das hatte er Alex gegenüber natürlich nicht gesagt. Auf derlei Überlegungen und Kommentare legte Alex keinen Wert– für ihn zählte die Arbeit und sonst nichts. Vielleicht würden sie ja, wenn sie etwas länger zusammengearbeitet hatten, mal gemeinsam ein Bier trinken gehen. Nur wenigen Polizisten war es vergönnt, diesen Gedanken überhaupt denken zu dürfen– ein Bier mit Alex Recht.
Es ärgerte ihn wirklich, dass Fredrika nicht verstand und somit auch nicht anerkennen konnte, wie wichtig Alex Recht für sie alle war. Sie saß immer nur da in ihrem Blazer– immerzu dieser Blazer!– und mit ihrem dunklen Haar, das sie zu einem langen Zopf geflochten hatte, der ihr wie eine Reitpeitsche über den Rücken fiel, und hatte permanent diesen verdammten skeptischen Ausdruck im Gesicht, den Peder zum Kotzen fand. Irgendetwas an ihrer Haltung und an diesem selbstverliebten Geschwätz brachte ihn einfach auf die Palme. Nein, Fredrika war keine Polizistin. Sie war eine verdammte Akademikerin. Sie dachte zu viel und handelte zu wenig. So funktionierte das nicht bei der Polizei.
Peder war überdies sauer, dass Fredrika und nicht er selbst das Gespräch mit Sara Sebastiansson führen sollte. Natürlich lag es daran, dass er niemals zusätzlich Zeit in seinen Job investieren konnte. Sein Privatleben raubte ihm so viel seiner Energie, dass er einfach nicht effektiv arbeiten konnte.
Aber wenigstens hatte Alex ganz sicher geklungen, dass der Fall mit der verschwundenen Lilian schnell gelöst sein würde. Es war schließlich keine Seltenheit, dass ein Mann, der sich von seiner Frau verletzt fühlte, sich an dem gemeinsamen Kind vergriff. Insofern brauchte man den Fall Lilian auch nicht als allzu wichtig oder groß zu betrachten. Womöglich war dies genau der Grund, warum Fredrika zu Sara nach Hause fahren sollte. Eigentlich war es sogar gut, dass sie hinfuhr und nicht Peder. Immerhin musste nicht er Berufserfahrung sammeln, sondern sie.
Was Peder sich jedoch kaum einzugestehen wagte, war, dass er trotz aller Kritik, die er Fredrika entgegenbrachte, sie doch ziemlich anziehend fand. Sie hatte eine perfekte Haut und große, schöne blaue Augen. Beim dunklen Typ hatten blaue Augen auf ihn eine geradezu dramatische Wirkung. Ihr Körper sah aus wie der einer
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