Aschenputtel: Thriller (German Edition)
Bergman zu Saras Wohnung gefahren. Er fürchtete, dass Fredrika dies als Beweis dafür genommen hatte, dass er ihr die Kompetenz absprach. Natürlich tat er das in gewisser Weise, aber er war nicht deshalb mitgefahren. Nein, bei diesem Besuch ging es ausschließlich darum, ein stärkeres Gefühl für den Fall zu bekommen. Und genau das hatte sich wirklich eingestellt.
Zuerst hatten Fredrika und Alex einen Augenblick mit Sara allein sprechen können, dann war ihr neuer Freund, Anders Nyström, zu Besuch gekommen. Die Kontrolle seiner Personendaten hatte zwar nichts ergeben, trotzdem hatte Fredrika ihn in Saras Küche kurz allein befragen können, während Alex sich im Wohnzimmer mit Sara unterhielt.
Was er von ihr erfahren hatte, machte ihm Sorgen.
Sara hatte keine Feinde, zumindest keine, von denen sie wusste.
Andererseits schien sie aber auch nicht viele Freunde zu haben.
Sie hatte erzählt, dass sie früher von ihrem Exmann misshandelt worden war, dass dies inzwischen aber kein Problem mehr sei und dass sie keinen Augenblick glaube, er könnte die Tochter entführt haben. Allein deshalb hatte sie Fredrika gegenüber die Misshandlungen nicht erwähnt. Sie habe die Ermittlungen der Polizei nicht in eine Sackgasse lenken wollen, wie sie es ausdrückte.
Alex hatte ihr kein Wort geglaubt. So vorsichtig wie nur möglich und ohne arrogant zu erscheinen, versuchte er, ihr beizubringen, dass es nicht ihre Aufgabe sei zu entscheiden, wie die unterschiedlichen Ermittlungsspuren zu bewerten waren. Auch dass der Exmann Sara inzwischen in Ruhe ließ, schien nicht sonderlich glaubwürdig, zumal sie auch jetzt wieder versuchte, ihre Unterarme in den Pulloverärmeln zu verbergen. Doch mit einiger Überredung offenbarte sie ihm schließlich genau das, was Fredrika befürchtet hatte: deutliche Spuren physischer Gewalt. Auf dem linken Unterarm war eine große und offensichtlich sehr schmerzhafte Wunde mit erstaunlich scharfen Kanten zu sehen. Die Haut war rot-orange verfärbt, und Alex konnte die Reste von Blasen erkennen, die langsam ausheilten. Ohne Frage eine Brandwunde.
» Kurz bevor wir uns getrennt haben, hat er mich mit dem Bügeleisen verbrannt«, sagte Sara mit tonloser Stimme und leerem Blick, der irgendwo hinter Alex einen Punkt fixierte.
Alex legte vorsichtig seine Hand auf ihren Arm und sagte leise, aber nachdrücklich: » Sie müssen ihn anzeigen, Sara.«
Da wandte sie langsam den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.
» Er war ja nicht hier.«
» Wie bitte?«
» Haben Sie die Polizeiberichte nicht gelesen? Er ist nie vor Ort, wenn das hier geschieht. Es gibt immer jemanden, der bezeugen kann, dass er woanders war.«
Und dann schaute sie wieder durch Alex hindurch.
Es hatte ihn ungeheuer mitgenommen, Sara Sebastianssons Verletzungen zu sehen. Zu seinem großen Verdruss hatte der Ehemann den ganzen Abend lang nicht von sich hören lassen, und das machte ihm Sorgen. Alex hatte an dem Tag zwei Streifen zu dessen Wohnung geschickt, doch weder war die Tür geöffnet worden, als die Kollegen geklingelt hatten, noch hatte irgendwo im Haus Licht gebrannt. Fredrika würde am nächsten Tag erneut Kontakt zu Gabriel Sebastianssons Mutter aufnehmen und auch an seinem Arbeitsplatz anrufen. Irgendjemand musste doch wissen, wo er sich aufhielt.
Wie er da im Schreibtischstuhl seines Großvaters saß, konnte Alex die Wut in sich aufsteigen fühlen. Es gab gewisse Grundregeln, mit denen er aufgewachsen war und die er in den bald fünfundfünfzig Jahren seines Lebens zu respektieren gelernt hatte. Man schlug keine Frauen. Man schlug keine Kinder. Man log nicht. Und man kümmerte sich um die Alten.
Alex schauderte es erneut, als er an die Brandwunde dachte.
Warum tat jemand seinem Mitmenschen so etwas an?
Alex ärgerte sich über die politische Atmosphäre, die derzeit im Land herrschte. Da wurde von » männlicher Gewalt gegen Frauen« gesprochen. In jedem anderen Kontext waren derart verallgemeinernde Formulierungen völlig undenkbar. So hatte ein Kollege kürzlich bei einer Pressekonferenz den Satz geäußert, die Neigung von Einwanderern, Gesetzen, Regeln und Verordnungen keine Folge zu leisten, kosteten den Staat Unsummen. Diese Äußerung würde den Kollegen wiederum den Job kosten. Wer so etwas sage, so wurde argumentiert, wolle seinen Zuhörern suggerieren, dass alle Einwanderer außerhalb der Regeln dieser Gesellschaft lebten, und das stimme ja nicht.
Nein, dachte Alex, das stimmte nicht. Ebenso wenig stimmte
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