Aschenputtel: Thriller (German Edition)
ihr am vorigen Abend eingeschärft. » Sie müssen uns auf dem Laufenden halten, Sara. Merkwürdige Anrufe, fremde Leute an der Tür. Auch wenn derzeit nichts dafür spricht, kann es sich immer noch um eine Entführung handeln, und in dem Fall wird der Täter versuchen, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen.«
Mit dem Paket im Arm überlegte Sara, ob dies hier ein unvorhergesehenes Ereignis war. Ihre Eltern würden jeden Moment da sein, sollte sie vielleicht so lange warten?
Vielleicht war es der Schlafmangel, die Verzweiflung oder aber einfach nur Neugier, die Sara Sebastiansson schließlich dazu bewegte, das Paket zu öffnen. Sie legte es auf den Küchentisch, das Handy gleich daneben. Sie würde das Paket aufmachen und dann Alex Recht oder Fredrika Bergman anrufen. Wenn es einen Anlass dafür gab. Es konnte ja auch irgendetwas sein, das sie bestellt und dann vergessen hatte.
Sara löste das Klebeband über dem oberen Teil der Kiste. Ihre langen Finger schlossen sich um die Kanten des Kartons, und sie zog am Deckel. Ein Bett aus Styroporherzchen wurde sichtbar. Sara runzelte die Stirn.
Vorsichtig schob sie das Styropor beiseite. Erst konnte sie nicht erkennen, was sie vor sich hatte. Haare? Lange, wellige Haarsträhnen in kastanienbrauner Farbe. Unwillkürlich streckte sie die Hand danach aus– und da erst begriff sie.
Sie schrie laut wie ein Tier. Als ihre Eltern eine Weile später kamen und die Polizei und den Arzt alarmierten, schrie sie noch immer. Irgendwann ging das Schreien in ein verlorenes und verzweifeltes heiseres Schluchzen über. Der Damm, den sie gegen das immer heftiger werdende Gefühl der Panik errichtet hatte, war gebrochen. Womit hatte sie das verdient? Was um Himmels willen hatte sie nur getan?
Der Notruf der Eltern war kurz nach neun Uhr morgens eingegangen. Alex Recht war sofort informiert worden, und zusammen mit Fredrika Bergman war er zu Saras Wohnung aufgebrochen. Zu seinem unverhohlenen Erstaunen hatte Fredrika doch tatsächlich bemerkt, dass Peder offensichtlich leicht verzweifelt darüber schien, dass sie und nicht er den Notruf übernehmen durfte.
Nachdem sie den Pappkarton mit seinem abscheulichen Inhalt dem Kurier übergeben hatten, der ihn ins SKL, das Staatliche Kriminaltechnische Labor in Linköping, bringen würde, kehrten Alex und Fredrika ins Haus zurück. Beide empfanden die Stille, die sich während der kurzen Rückfahrt von Södermalm in die Kungsholmsgatan zwischen ihnen eingestellt hatte, als tröstlich. Von der Västerbron aus sahen sie auf ein beinah herbstlich dunkles Stockholm hinab. Die schweren Wolken, die sich in der Nacht über der Hauptstadt zusammengezogen hatten, spiegelten sich in dem Wasser, das sich unter ihnen ausbreitete. Sie färbten es grau, und Fredrika fand den Ausblick weniger ansprechend, als er sonst für sie war.
Alex räusperte sich.
» Wie bitte?«, fuhr Fredrika herum.
Alex sah sie flüchtig an und schüttelte dann den Kopf. » Ich habe nichts gesagt.«
Auch wenn er es sich nicht gern eingestand, war Alex doch schockiert über das, was er gerade gesehen hatte. Mit der Ankunft des Pakets hatten sie es mit einem ganz neuen Fall zu tun. Was zunächst wie eine Routineermittlung ausgesehen hatte– zwei erwachsene Menschen machten eine schmerzhafte Trennung durch, während derer ihr gemeinsames Kind unweigerlich in die Schusslinie gekommen war–, erwies sich nun als ein Fall mit völlig ungewissem Ausgang. Sara Sebastianssons Panik, die die ganze Wohnung erfüllt hatte und die durch die tränenerstickten Rufe ihrer Mutter, dass sie sich doch beruhigen solle, noch verstärkt worden war, hatte das Ganze zu einem entsetzlichen Erlebnis gemacht.
Alex hatte sofort gesehen, dass Sara Sebastiansson die Grenze, innerhalb derer ein Mensch sich beruhigen konnte, längst überschritten hatte. Er hatte beschlossen, auf den Notarzt zu warten und dann, nachdem Sara eine Beruhigungsspritze bekommen hatte, die Kiste und ihren Inhalt selbst zu untersuchen.
Aus Saras Reaktion auf die Sendung hatte er geschlossen, dass die Haare von Lilian stammen mussten. Oder dass sie zumindest so aussahen wie Lilians. Das Labor würde das mit Sicherheit feststellen. Unter den Haarsträhnen hatten die Kleider gelegen, die Lilian bei ihrem Verschwinden getragen hatte: ein knielanger grüner Rock und ein kleines weißes T-Shirt mit grün-rosa Aufdruck auf der Brust. Zwei Haargummis. Die Unterhose fehlte.
Alex war beim Anblick der Kleidungsstücke übel geworden. Jemand musste sie
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