Aschenputtel: Thriller (German Edition)
aber, dass alle Männer ihre Frauen schlugen. Oder alle Eltern ihre Kinder. Manche Männer schlugen Frauen, ziemlich viele andere taten dies nicht. Und wenn es Letztere nicht gäbe, würde man das Problem ohnehin niemals in den Griff bekommen.
Es hatte gestern Abend keinen Anlass für eine weitere Sitzung mit der ganzen Gruppe gegeben. Nachdem er und Fredrika die Wohnung von Sara Sebastiansson verlassen hatten, hatte er nur noch mit Peder gesprochen und ihm einen Zwischenbericht gegeben. Alex war weder dumm noch leicht hinters Licht zu führen. Peder hatte einen fast kindischen Zwang, sich als tüchtig zu erweisen. Hin und wieder fürchtete Alex, dass dies einen ungünstigen Einfluss auf sein Urteilsvermögen haben könnte, wenn er in eine Stresssituation geriet. Aber er wollte Peder auch nicht ausbremsen, solange er eine so vorbildliche Freude an seiner Arbeit zeigte und so viel Energie hatte.
Wenn nur auch Fredrika ein wenig von dieser Tugend aufweisen würde, dachte er.
Er warf einen Blick auf die Uhr. Gleich sieben. Er sollte sich langsam anziehen und in die Stadt fahren. Es war ein Glücksfall, auf Resarö zu wohnen, so nah an der Stadt und doch gerade weit genug weg. Er würde das Haus gegen nichts in der Welt tauschen wollen. Es war ein echter Glücksfund gewesen, wie seine geliebte Lena gesagt hatte, als sie es vor einigen Jahren gekauft hatten.
Alex stemmte sich aus seinem Schreibtischstuhl und ging durch den blauen Flur zurück in die Küche. Als er einen Augenblick später unter die Dusche stieg, trommelte bereits der erste Regenschauer des Morgens an die Fensterscheibe.
Es fuhren fast stündlich Züge von Göteborg nach Stockholm. Die Eltern von Sara Sebastiansson waren bereits um sechs Uhr morgens unterwegs. Es war nicht ihre erste Notfallreise von einer Küste zur anderen, aber es war definitiv noch keine so ernst gewesen. Mehrere Male hatten die Eltern in aller Hast Haus und Arbeit zurücklassen müssen, um sich um Lilian zu kümmern, während Sara ihre körperlichen Verletzungen zu heilen versuchte. Seit der ersten Misshandlung hatten sie jeden Kontakt mit dem Schwiegersohn konsequent abgelehnt und mit allen Mitteln versucht, Sara zu bestärken, sich ebenfalls von ihm fernzuhalten. Sie hatten sie angefleht, doch wieder an die Westküste zu ziehen, doch ihre Tochter hatte sich geweigert. Sie wolle nicht zulassen, dass Gabriel noch mehr Teile ihres Lebens in Schutt und Asche lege, hatte sie erklärt. Sie hatte Göteborg vor fünfzehn Jahren verlassen und würde nie dorthin zurückziehen. Niemals. Ihr Lebensmittelpunkt war jetzt in Stockholm.
» Aber Sara«, hatte ihre Mutter gesagt und angefangen zu weinen. » Wenn er dich totschlägt? Denk doch an Lilian! Was geschieht mit Lilian, wenn du stirbst?«
Doch Sara hatte sich gegen die Tränen der Mutter gewehrt und sich geweigert nachzugeben.
Hatte sie das Richtige getan?
Als sie am Morgen nach Lilians Verschwinden an ihrem Küchentisch saß, fragte sie sich, ob sie einen Fehler gemacht hatte. Einen Fehler, der so groß war, dass sie ihn kaum ermessen konnte. War es doch Gabriel gewesen, der Lilian entführt hatte? Sie wusste verdammt noch mal, wozu der Mann in der Lage war.
Er hatte Lilian nie ein Haar gekrümmt. Aber mehr als ein Mal war die Kleine durch das Schreien der Mutter im angrenzenden Zimmer aus dem Schlaf gerissen worden. Einmal war sie sogar aus dem Bett gestiegen und hatte weinend in der Tür gestanden. Sara sah die Szene immer noch vor sich. Sie hatte auf dem Küchenboden gelegen, unfähig aufzustehen, weil die Seite, wo Gabriels Tritte sie verletzt hatten, zu sehr schmerzte. Gabriel, außer sich vor Raserei, hatte sich über sie gebeugt. Und dann das dünne Stimmchen von Lilian.
» Mama. Papa.«
Wie in Trance hatte Gabriel sich umgedreht.
» Nanu? Ist Papas kleiner Liebling wach geworden?«
Ein paar lange Schritte durch die Küche, und er hatte das Kind hochgehoben und es aus dem Zimmer getragen.
» Mama ist dumm hingefallen, Liebling«, hatte Sara ihn sagen hören. » Wir lassen sie ein wenig ausruhen, dann ist es wieder gut. Soll ich dir etwas vorlesen?«
Sara hatte an der Universität einen Grundkurs in Psychologie absolviert und davon gelesen, dass Männer, die ihre Frauen schlugen, hinterher nicht selten Reue zeigten. Gabriel tat das nie. Nie bat er um Entschuldigung, er tat niemals so, als wäre das, was geschehen war, in irgendeiner Weise anormal oder falsch. Stattdessen betrachtete er nur ihre Wunden und Blutergüsse
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