Aschenputtel: Thriller (German Edition)
auch sein, dass die Frau ganz und gar nicht verwirrt war, sondern Angst hatte?«
Alex runzelte die Stirn.
» Wenn die Frau einer Misshandlung ausgesetzt war, dann hat sie sich vielleicht schon früher an die Polizei gewandt, von dort aber keine Hilfe erfahren. Vielleicht hat sie eine traumatisierte Einstellung zum Polizeiwesen, und gleichzeitig hat sie immer noch Angst vor ihrem Ex. Und…«
» Verdammt, jetzt aber mal langsam!«, unterbrach Peder sie wütend. » Was heißt hier, traumatisierte Einstellung zur Polizei? Es ist ja wohl nicht die Schuld der Polizei, dass jede zweite Tussi, die hier anruft und ihren Alten anzeigt, ihn am Ende doch wieder zurücknimmt.«
Fredrika hielt müde eine Hand hoch.
» Peder, das sage ich ja gar nicht«, erwiderte sie ganz ruhig. » Und ich glaube auch nicht, dass wir ausgerechnet hier eine Diskussion darüber anfangen müssen, wie die Polizei arbeitet, um die Misshandlung von Frauen zu unterbinden. Aber wenn, und ich sage: wenn es so ist, dass sie in der Vergangenheit misshandelt wurde und das Gefühl hatte, dass ihr von der Polizei nicht geholfen wurde, dann wird sie große Angst haben. In diesem Fall wäre es dumm von uns, das Gespräch als verwirrt abzutun.«
» Aber«, mischte sich Alex ein, » wenn wir das mal zu Ende denken. Ist es nicht etwas seltsam, dass sie gerade jetzt anruft?«
Es wurde still.
» Ich meine, was ist denn in den Medien schon bekannt? Ja, ein kleines Kind ist verschwunden. Das ist alles. Über das Paket mit den Haaren ist noch nichts bekannt, und es gibt eigentlich nichts, das darauf hindeutet, dass dem Kind Schlimmeres zugestoßen sein könnte als all den anderen Kindern, die kurzzeitig verschwinden.«
Jeder in der Gruppe bedachte für sich, was Alex gesagt hatte.
» Da lande ich am Ende doch dabei, dass sie nicht weiß, wovon sie spricht«, sagte er schließlich. » Wir werden das Gespräch trotzdem zurückverfolgen. Und wir schließen auch nicht aus, dass es Gabriel Sebastiansson war, mit dem sie eine Beziehung hatte.«
» Aber irgendetwas an der Geschichte muss sie an die Worte ihres Exfreundes erinnert haben«, gab Fredrika zu bedenken. » Gerade weil es so ist, wie du sagst, Alex: Gerade weil nur sehr wenige Informationen bekannt sind. In irgendeinem Zusammenhang muss sie ein Detail wiedererkannt haben, worauf sie reagiert hat. Irgendein Detail, das diese Geschichte von anderen Geschichten über verschwundene Kinder unterscheidet. Und es ist keineswegs selbstverständlich, dass es Gabriel Sebastiansson ist, der auch in dieser Geschichte eine Rolle spielt…«
» Es langt«, unterbrach Alex sie brüsk. » In einer Ermittlung gibt es immer unterschiedliche Spuren, Fredrika, aber bisher haben wir nun einmal nur eine, und die wirkt einigermaßen glaubwürdig.«
Ohne Fredrika die Chance auf eine Erwiderung zu geben, wandte Alex sich dem Kripo-Analytiker zu. Und wieder fiel ihm dessen Name nicht rechtzeitig ein. Wieso nur konnte er sich nie daran erinnern?
» Haben sich eigentlich irgendwelche anderen Zeugen gemeldet? Irgendwelche Fahrgäste?«
Der Analytiker nickte. Oh ja, einige, sogar überraschend viele hatten von sich hören lassen. Fast alle, die zusammen mit Sara und Lilian Sebastiansson in Wagen zwei gesessen hatten. Aber keiner von ihnen konnte sich erinnern, irgendetwas gehört oder gesehen zu haben. An das schlafende Kind konnten sie sich wohl erinnern, aber nicht daran, dass irgendjemand gekommen war und es mitgenommen hatte.
» Sara hat in unserem ersten Gespräch erwähnt, dass sie und Lilian sich mit einer Frau auf der anderen Seite des Mittelganges unterhalten haben«, warf Fredrika ein. » Hat diese Frau auch angerufen?«
Der Analytiker zog einen Stapel Papier aus einer Plastikmappe.
» Wenn die Dame direkt über dem Gang saß«, murmelte er und fischte ein Papier aus dem Stapel, » dann muss sie auf Platz 14 gesessen haben. Aber von Platz 14 und 13 hat sich bislang niemand gemeldet.«
» Hoffen wir mal, dass sie es noch tut« murmelte Alex und rieb sich das Kinn.
Sein Blick schwenkte zum Fenster. Irgendwo da draußen hielt jemand Lilian Sebastiansson gefangen. War es ihr sadistischer Vater, der vor nichts zurückschreckte, um seine Exfrau zu quälen? Wenn das Mädchen nur bald wiederauftauchte!
Ellens Handy klingelte, und sie verließ den Besprechungsraum.
» Peder«, sagte Alex, als Ellen die Tür hinter sich geschlossen hatte, » ich möchte, dass du dich um den Haftbefehl für Gabriel Sebastiansson kümmerst.
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