Aschenputtel: Thriller (German Edition)
ganz und gar nicht gern an die Jahre, die sie verbracht hatte, bevor sie dem Mann begegnet war, und deshalb dachte sie nur selten daran. Doch in ihren Träumen ließen die Erinnerungen sie nicht in Ruhe. Dann sah sie all die Schrecklichkeiten im Detail vor sich. Manchmal wollten die Träume gar nicht mehr aufhören, und dann wachte sie davon auf, dass sie im Bett saß und laut schrie.
Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht!
Der Mann wollte nie von ihren Träumen hören. Er zog sie einfach nur wieder ins Bett und flüsterte ihr zu: » Du selbst bestimmst über deinen Schlaf, Puppe. Das musst du begreifen. Wenn du das nicht begreifst, dann wirst du weiterhin Dinge träumen, die du nicht willst. Und wenn du dich nicht ausreichend bemühst, bist du ein schwacher Mensch. Du weißt doch, was ich von schwachen Puppen halte, nicht wahr?«
Anfangs hatte sie es mit Einwänden versucht und ihm erklären wollen, dass sie ihr Möglichstes tat, dass die Träume aber trotzdem kamen. Und sie hatte geweint.
Da hatte er sich im Bett auf sie gelegt, so schwer, dass sie kaum mehr Luft bekam.
» Puppe, es gibt nichts, aber auch gar nichts Sinnloseres als Weinen. Versuch, das zu begreifen. Mach dir klar, dass du das begreifen musst. Ich will so etwas nicht sehen. Niemals. Verstehst du das?«
Jelena hatte unter ihm genickt und gespürt, wie er sich noch schwerer machte.
» Antworte so, dass ich dich höre, Puppe.«
» Ich verstehe«, hatte sie geflüstert. » Ich verstehe.«
» Wenn du es nicht verstehen solltest«, war er fortgefahren, » kann ich dich gerne zurechtweisen.«
Seine Finger hatten sich in ihren Haaren verhakt, und sie hatte gesehen, wie er die andere Hand zur Faust ballte.
» Verstehst du?«
» Ich verstehe«, hatte sie gesagt, die Augen vor Angst weit aufgerissen.
» Vielleicht würdest du es besser verstehen, wenn ich dich zurechtweisen würde, so wie ich es zu Anfang immer getan habe.« Ohne es zu wollen, hatte Jelena angefangen zu zittern, und sie hatte den Kopf auf dem Kopfkissen hin- und hergedreht.
» Nein, nein«, hatte sie geflüstert. » Bitte nicht, nein, nein.«
Er hatte die Faust geöffnet und ihr über die Wange gestreichelt.
» Aber Puppe«, hatte er mit sanfter Stimme gesagt. » Wir winseln doch nicht. Nicht du und ich.«
Sie hatte schwer geatmet, sein Körper immer noch über ihr. Hatte seinen nächsten Schritt abgewartet.
» Du musst keine Angst vor mir haben, Puppe«, hatte er gesagt. » Niemals. Alles, was ich tue, tue ich zu deinem Besten, Puppe. Zu unserem Besten. Das weißt du doch, nicht wahr?«
Sie hatte genickt, während sie ein- und ausatmete.
» Ja, ich weiß.«
» Gut«, hatte er gesagt und war von ihr heruntergerollt. » Denn wenn wir unseren Kampf beginnen, wenn wir damit anfangen, die Sünder aus ihrem Schlummer zu wecken, dann bleibt kein Raum für Fehler.«
Alex hatte es gerade noch geschafft, im Haus vorbeizufahren, ehe er sich zum Flughafen aufmachen musste. Fredrika hatte ihm berichtet, dass der Arbeitgeber von Gabriel Sebastiansson von sich hatte hören lassen, und dann hatte er mit Peder telefoniert, der soeben Sara Sebastianssons Wohnung verlassen hatte. Peder hatte ihm mitgeteilt, dass Sara zusammen mit ihren Eltern nach Umeå reisen würde, um das Mädchen zu identifizieren. Alex hatte die beiden nochmals aufgefordert herauszufinden, welche Verbindungen die Sebastianssons nach Umeå hatten. Und dann saß er in einem Taxi Richtung Arlanda.
Er rechnete nicht damit, länger in Umeå bleiben zu müssen. Wahrscheinlich würde er noch am selben Tag zurück sein. Ein wenig widerwillig hatte er Peder zusammen mit einem Notfallseelsorger losgeschickt, um Sara Sebastiansson die Nachricht vom Tod des Mädchens zu überbringen. Peder war mitnichten die Idealbesetzung für diesen Auftrag, aber Fredrika zu schicken war ihm noch unmöglicher erschienen. Menschen ohne funktionierendes Gefühlsleben konnte man kaum so schwere Aufgaben wie das Überbringen einer Todesnachricht anvertrauen.
Alex ließ seinen Kopf auf der Nackenstütze des Rücksitzes ruhen. Die Leiche von Lilian Sebastiansson war gegen ein Uhr nachts vor der Notaufnahme in Umeå entdeckt worden.
Soweit Alex wusste, war sie von einer Krankenschwester und einem Notarzt gefunden worden, hatte auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Bürgersteig gelegen, nackt und nass vom Regen. Auf die Stirn hatte jemand das Wort » Unerwünscht« geschrieben.
Das Kind war schon tot gewesen, als man es gefunden hatte.
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