Aschenwelt
Schaden.«
»Doch«, schluchzte ich. »Meine Freundin. Anne. Ich hab sie beschimpft. Aufs Hässlichste. Und nun ist sie fort. Wer weiÃ, was sie gerade durchmacht. Wegen mir.«
»Mach dir keine Gedanken.« Sie streichelte mir wieder über den Kopf. »Ihr geht es bestimmt gut.«
»Ich weià nicht«, sagte ich. »Ihr geht es bestimmt genauso beschissen wie mir. Und ich bin daran schuld. Und sie ist ganz alleine, hat nur ihre Mutter.«
»Du bist nicht schuld.«
»Doch. Ich hab Anne dazu gebracht, mit mir diese Steinchen zu rauchen. Ich hab sie überhaupt erst dazu gebracht, überhaupt irgendwelche Drogen zu nehmen. Ich wollte, dass sie das spürt was ich spüre, das sieht was ich sehe. Bevor sie mich kannte, war sie völlig unschuldig. Und ich hab darauf bestanden, weiterzumachen, obwohl sie nicht mehr wollte. Und ich weià nicht mal warum! Ich mein, das ist die Hölle dort! Warum will ich freiwillig da hin?«
»Wohin?«
»In die Aschenwelt.«
»Aschenwelt? Was meinst du damit?«
»Die Welt, in der ich bin, wenn ich träume, oder eben Steinchen geraucht habe.«
»Und wie sieht diese Welt aus?«
»Sie ist voller Teufel, die das Blut der Menschen dort trinken. Alles ist kaputt. Verbrannt. Und dunkel und kalt. Aber jetzt sieht es dort ganz anders aus. Die Asche, die alles bedeckt hat, ist weg, und die Ruinen auch. Nur noch ein FuÃboden ist da, der nach Bohnerwachs riecht und aussieht wie der in, wie der â¦Â«, ja, wie sieht er eigentlich aus? An irgendetwas erinnerte mich dieser dunkelrote, stinkende Boden. »⦠Keine Ahnung. Ein Boden eben. Und ein Himmel, über den ein Sackleinen gespannt ist. Aber die Teufel, die sind noch da.« Während ich ihr all das erzählte, fragte ich mich, warum ich das überhaupt tat.
»Hast du das schon einmal Dr. Uschasnik erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das solltest du aber tun. Er kann dir helfen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Aber ich. Ganz fest sogar.« Sie lächelte mich wieder an. »Geht es dir etwas besser?«
»Ja.« Ich schniefte.
»Nase putzen?«
Ich nickte. Wie erniedrigend das war.
»So.« Sie warf das vollgerotzte Papiertaschentuch in einen Mülleimer. »Ich muss nun nach einem anderen Patienten sehen. Wenn etwas sein sollte, dann melde dich einfach. Schau mal hier«, sie führte meinen Finger an einen Knopf an der Seite des Bettes, »einfach hier drücken, dann bin ich schon bei dir.«
Damit stand sie auf, wünschte mir eine gute Nacht und verlieà das Zimmer. Versuch etwas zu schlafen, waren ihre letzten Worte gewesen. Ich wollte nicht schlafen. Ich hatte die letzten vier Tage verschlafen, wenn es stimmte, was sie sagte. Und hinter dem Schlaf wartete nichts als die Aschenwelt auf mich. Und die Teufel. Ohne meinen Zauberrauch wollte ich denen nicht gegenübertreten. Ich zerrte wieder an den Gurten, aber nur noch halbherzig. Wenigstens schwitzte ich nicht mehr allzu sehr. Auch das Jucken war gerade auszuhalten. Nur die Magenkrämpfe waren noch da wie zuvor.
Was nun? Ich glotzte wieder an die Decke. Als mir das zu langweilig wurde, nahm ich die schwarze Mattscheibe des Fernsehers ins Visier. Was brachte eigentlich ein ausgeschalteter Fernseher, dessen einzig möglicher Zuschauer ans Bett geschnallt war und ihn nicht bedienen konnte? Ich beguckte den Vorhang, wand meinen Blick aber gleich wieder von ihm ab. Er erinnerte mich zu sehr an den Sackleinenhimmel. Die Wandleuchter waren auch nicht sonderlich erhellend. Wieder die Decke über mir. Ich zählte die Fugen der Paneelen. Fünfundzwanzig in der Breite, zwanzig in der Tiefe. Diese Beschäftigung hielt nicht lange vor. Ich blickte wieder senkrecht nach oben und stellte mir die weiÃen Paneelen als Leinwand vor. Ich malte in Gedanken Anne darauf. Die nackte Anne. Mein Herz pochte ein wenig schneller, über den Rücken lief mir ein kalter Schauer und mein Bauch wurde heiÃ. Ich stellte mir vor, wie Anne mich verwöhnte, so wie ich war, halbnackt und ans Bett geschnallt. Gott, Jo! Ich atmete einmal tief durch, aber das Bild wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Berühr mich! Nicht einmal das konnte ich. Verfluchte Gurte!
Ich schloss meine Augen und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Dann riss ich sie wieder auf, weil ich merkte, wie ich einzuschlafen drohte. Nicht das. Nicht schlafen. Wach bleiben. Meine
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