Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
Altar und suchte in dem Stein nach Kerben und Markierungen. Wie von selbst fuhr er mit dem Fingernagel eine lange, flache Scharte nach, die Hinterlassenschaft einer Klinge. Und es gab viele Kerben.
Hier sind Menschen gestorben.
Der Tod erfreut Kali am meisten. War er selbst nicht der lebende Beweis dafür? Kali hatte ihn gesegnet. Ash ließ die Finger über den zerfurchten Stein gleiten und fröstelte, als im dunklen Teil seines Gedächtnisses alte Erinnerungen aufwirbelten. Erinnerungen aus einem früheren Leben, daran, wie ein zappelndes Opfer niedergedrückt wurde, bevor ein Messer seine Kehle durchschnitt und auf dem Stein einen Kratzer hinterließ.
Eine Hand berührte ihn.
Parvati stieß überrascht die Luft aus, als Ash sich blitzschnell umdrehte und sein Faustdolch einen Millimeter vor ihrem Gesicht haltmachte. Ash trat zurück. Vor Panik hätte sein Herz beinahe ausgesetzt. »Es tut mir leid, Parvati, ich weiß nicht, wie das passieren konnte.«
»Es liegt an deinen vergangenen Leben. Sie kontrollieren dich, unbewusst.« Mit einem besorgten Blick legte sie die Hand auf seine Wange. »Sie hatten befürchtet, dass das geschehen könnte.«
»Sie?«
»Rishi und ich.« In der Dunkelheit nahe der Tür saß ein Mann. Ash musste direkt an ihm vorübergegangen sein, ohne ihn zu bemerken. In eine weite Tunika und eine übergroße Hose gekleidet, kauerte er über einem kleinen Teller. Ein gelber Schal baumelte um seinen breiten Hals. Er stellte den Teller beiseite, stand auf und streckte sich, bis sein Kopf fast die Tempeldecke berührte. Dann strich er sich mit den Fingern den schwarzen Schnurrbart glatt.
»Ujba«, wisperte Ash.
»›Guru‹ ist mir lieber.«
»Was machst du hier?«
»Elaine hat nach mir geschickt. Du musst noch eine Menge lernen, Junge«, sagte Ujba.
»Du hier?«, entfuhr es Parvati, als sie Ujba erkannte. Instinktiv schoben sich ihre Giftzähne hervor. »Nur ich weiß, wie man mit dem Kali-Aastra umgehen muss«, sagte Ujba. »Du bist einer von uns, Junge.«
»Und was genau soll das sein?«, wollte Ash wissen.
»Ein Anhänger Kalis.« Parvati schaute sich in der kleinen Kammer um.
»Das kannst du gleich wieder vergessen. Mit dir trainiere ich nicht mehr.« Ash nickte in Richtung Tür. »Lass uns gehen, Parvati.«
»Rishi hat es so gewollt«, sagte Ujba. »Falls ihm etwas zustoßen sollte, sollte ich mit deiner Ausbildung fortfahren.«
Das ließ beide, Parvati und Ash, mitten im Schritt innehalten. Wenn das Rishis Letzter Wille war, wie konnten sie dann ablehnen?
Parvati musterte Ujba misstrauisch, doch ihre Giftzähne zogen sich hinter ihre Lippen zurück. »Mir gefällt das genauso wenig wie dir, Ash, aber er hat recht. Er ist ein Brahmane Kalis.«
»Ich dachte, Brahmanen dürfen keine Waffen benutzen.«
»Für die Anhänger Kalis gelten andere Regeln«, sagte Ujba und blickte Parvati an. »Lass uns allein.«
Parvati zögerte und wirkte alles andere als einverstanden, doch dann nickte sie knapp. »Ich sehe dich heute Abend, Ash.« Damit ging sie.
Ash wollte ebenfalls gehen, er wollte auf dem Absatz kehrtmachen und ihr nach draußen folgen. Doch was dann? Noch mehr Albträume, mit denen er nicht fertig wurde? Ein weiterer Angriff auf einen Menschen, während er schlief? Er verlor die Kontrolle über sich.
Aber Ujba? Warum ausgerechnet Ujba?
»Was soll ich machen?«, wollte er wissen.
Ujba griff hinter eine Säule, holte einen Besen hervor und warf ihn Ash zu. »Putzen.«
»Putzen?«, wiederholte Ash ungläubig. »Wie soll das denn helfen?«
»Ich bin dein Guru. Du tust, was ich dir sage.«
»Seit dem Lalgur ist viel passiert, Ujba.« Der große Mann war ein brutaler Lehrer. Noch immer erinnerte sich Ash an jeden Schlag und Tritt, den er eingesteckt hatte. An jeden blauen Fleck und Schnitt, den er dank Ujbas Training davongetragen hatte. Doch damals war er noch ein langsamer und schlaffer Mensch gewesen. Nun war er der Kali-Aastra.
»Du glaubst, dass ich dir nichts mehr beibringen kann?«, fragte Ujba.
»So in der Art.«
»Dann kannst du mir vielleicht eine Kostprobe deiner so außergewöhnlichen Fähigkeiten geben? Einen wahren Meister würde ich nur zu gerne in Aktion erleben. Vielleicht kann ich ja von dir etwas lernen.«
Ash brodelte vor Zorn. Es war deutlich, dass Ujba ihm nicht glaubte.
»Du zögerst?«, meinte Ujba und gab Ash einen Schubs. »Brauchst du einen Gegner? Nimm mich. Und hab keine Angst, mir wehzutun. Ich scheue mich sicher nicht, dich zu verletzen.
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