Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
hüfthoher Tisch mit zwei Geräten, eines war mit einer Plastikhülle abgedeckt, das andere befand sich in einem militärisch anmutenden Kasten aus dunklem Metall, der mit vier Klammern verschlossen war. Unter der Plastikhülle verbarg sich ein digitales, batteriebetriebenes CB-Funkgerät, unbrauchbar, tote Elektronik. Alex richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Metallkiste, während Tom die quietschenden, völlig verrosteten Klammern aufstemmte.
»Ich wollte vor Ellie nicht darüber sprechen«, sagte Tom und hebelte die letzte Klammer auf. »Eigentlich wollte ich bis morgen warten, wenn es hell ist. Bei Tag sieht die Sache meistens besser aus, aber wir können es genauso gut jetzt machen.«
»Was ist das?« Das Gerät war hellgrau, die Oberfläche aber schimmerte graugrün wie das Mondlicht. Die Kontrollelemente darauf waren teils Bedienhebel, die sich umlegen ließen, andere sahen wie die runden Knöpfe aus, die Alex von Tante Hannahs Gasherd kannte. In der Mitte befand sich ein schwarzes Einstellrad mit weißen Nummern und Rautensymbolen. In silbernen Großbuchstaben prangte der Firmenname HEATHKIT, darüber stand in kleinerer Schrift SB-101.
»Ein alter Amateurfunkempfänger, würde ich sagen. Ich habe gesehen, dass Leute so was in Jagdhütten benutzt haben.« Tom deutete auf die Kabel, die vom Tisch zu einer Autobatterie führten. »Alles, was man braucht, ist dieser Wechselrichter, der verhindert, dass das Funkgerät durchschmort, und alles ist startklar.«
»Und das funktioniert?«
»Ich denke schon. Das Ding ist uralt, also noch ohne Halbleitertechnik. Das Innenleben besteht aus Röhren, keine Transistoren. Voraussetzung ist natürlich, dass irgendwo jemand funkt.«
»Na, wir werden ja nicht die letzten normalen Menschen auf der Welt sein«, meinte Alex. »Da draußen muss es noch mehr Funkgeräte wie dieses geben, und wenn die Autos auch nicht fahren können, dürften doch eine Menge Batterien intakt sein. Außerdem gibt es selbst im schlimmsten Fall – wenn du recht hast und ganz Nordamerika betroffen ist – noch andere Länder. Irgendwo muss jemand sein.«
Das Gerät funktionierte. Tom stellte die Frequenz auf null und drehte dann das Einstellrad mit der Behutsamkeit eines Tresorknackers, der auf das verräterische Klicken des Zahnrads lauschte. Lautsprecher gab es nicht, sie teilten sich also den einzigen Kopfhörer, und Tom drehte so laut auf, dass das statische Knistern wie Regenprasseln auf einem Blechdach klang. Die atmosphärischen Störungen seien stark, zu stark, meinte Tom, vor allem für eine wolkenlose Nacht.
»Aber was bedeutet das?«, fragte Alex.
»Schsch.« Mit zwei Fingern drehte er vorsichtig am Einstellknopf. »Ich glaube …«
Durch das Rauschen hörte Alex ein leises Murmeln, dann ein einziges Wort: … Kontrolle …
»Warte, warte!«, rief sie. »Da ist es!«
»Ich hab’s, ich hab’s, einen Moment.« Das statische Rauschen wurde abwechselnd lauter und leiser. »Da«, sagte Tom, »ich glaube …«
»… Feuerstürme …«, spuckte das Gerät aus. » … lantikküste …«
»Was?«, sagte Alex.
»… Systemversagen … bodengestützte … nukleare Folgeschäden …«
»Oh mein Gott«, sagte Tom.
»Wie bitte? Nuklear? Was soll das bedeuten? Verstehst du, was er sagt?«
»Ich glaube schon.«
»Und was bitte?«
»Gleich.« Tom griff nach ihrer eiskalten Hand und hielt sie fest. »Ich weiß, du willst auf der Stelle wissen, was Sache ist, aber versuchen wir erst mal, so viel hier rauszuholen wie möglich, okay? Wenn einer auf Sendung ist, dann bestimmt auch andere, hier und im Ausland, sodass wir ein klareres Bild bekommen.«
Ein klareres Bild? Was sollte am Weltuntergang besser werden? Alex wollte nicht warten, sie wollte die Antwort jetzt. Aber sie biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich darauf, Worte aus dem statischen Rauschen herauszufiltern. »… jünger als … Kinder … Panik …«
Weitere Wortfetzen, zerhackt durch atmosphärische Störungen, drangen aus dem Kopfhörer: Worte wie Gespenster, die aus dem Nichts auftauchten und einen Albtraum webten. Als das Signal erstarb, fanden sie ein anderes, diesmal aus England, dann noch eins irgendwo aus Afrika.
Am Ende waren ihre Augen immer noch trocken, aber Tom umfasste ihre Hand so fest, dass es wehtat.
»Deshalb ist der Mond also grün.« In der Küche neben dem Herd umklammerte Alex einen Becher Tee, der längst kalt geworden war. Vor zwei Stunden hatten sie noch Kekse gemampft, und jetzt
Weitere Kostenlose Bücher