Ashes - Pechschwarzer Mond (German Edition)
danach und rappelte sich hoch. Ihre Hüfte und ihr Knöchel waren davon nicht begeistert, aber sie biss die Zähne zusammen. Jammernd beugte sich Lena zu ihrem blutenden Bein und versuchte, es mit der rechten Hand zu umfassen, weil ihr linker Arm ja gebrochen war.
Jetzt kannst du nicht mehr wegrennen, was? Ellie umfasste den Knüppel weiter oben. Ich bring dich um. Einmal richtig ausholen …
In diesem Augenblick riss Lena den Kopf hoch. Ein Ausdruck von Erkennen und Erstaunen und … war das Angst? Sehnsucht? … erschien auf ihrem Gesicht, als sie etwas hinter Ellie erspähte. Sekundenlang kam es Ellie so vor, als sähe sie fast wieder menschlich aus.
»Ellie«, sagte eine Stimme ganz nah, »nicht.«
»Warum nicht?« Ihre eigenen Worte klangen fremd in ihren Ohren. Ohne dass sie den Blickwinkel verändert hatte, verschwammen Lenas Konturen vor ihren Augen, als habe sich unversehens eine fleckige Glasscheibe zwischen sie geschoben. »Sie hat meinen Hund getötet. Sie hat mir meinen Daddy genommen. Ich bin kein kleines Kind mehr, Chris.«
»Das weiß ich, Ellie«, antwortete Chris, »und es tut mir leid.«
»Aber ich will sie umbringen.«
»Genau deshalb solltest du es nicht tun.«
Jetzt schaute sie zu ihm. Er trug Toms Waffe, die kleinere, und Ellie fragte sich – flüchtig, beinahe unbewusst – , warum Tom nicht hier war. Aber Jayden war da, nicht weit weg, mit angelegtem Gewehr. Ein weißer Schopf und ein blaues Auge lugten hinter seinen Beinen hervor. So hatte sie es bei Opa Jack gemacht, bei der Beerdigung. Als ob es weniger wehtäte, sich von ihrem Daddy zu verabschieden, wenn sie nicht direkt hinschaute.
Und dahinter lag Mina, ihre Mina, ach so still auf dem Boden.
»Ich hab sie einmal davonkommen lassen.« Chris’ dunkle, immer noch rot unterlaufene Augen wanderten zu ihr und wieder zurück. Das Funkgerät an seiner Hüfte zirpte wie eine verrückte Grille, aber er beachtete es nicht. »Ich bin verantwortlich.«
Mit dem gebrochenen Arm und dem blutigen Bein sah Lena wieder klein und traurig aus. In einem Film wäre das, darauf hätte Ellie gewettet, der Augenblick gewesen, in dem das wilde Mädchen plötzlich zu sich gekommen wäre und » Chris!« gerufen hätte. Zum Erstaunen des Publikums, denn sieh einer an, selbst Monster haben Gefühle. Dann wäre Lena in den Wald gerannt – trallala – , eine märchenhafte Wendung, denn die Menschen liebten Happy Ends, und wer weiß, vielleicht wurden selbst Monster wieder gut.
Doch das hier war das richtige Leben, und Lena war der Feind, und es gab keine zweite Chance.
»Es ist nicht deine Schuld, Chris. Du hast sie nicht zum Monster gemacht.« Sie hielt inne und überlegte. Das war nicht die ganze Wahrheit: Wenn man eine falsche Entscheidung getroffen hatte, musste man sich den Fehler eingestehen und mit den Folgen leben. »Du hast niemanden umgebracht.«
»Nicht, als ich es hätte tun sollen«, erwiderte Chris und drückte ab.
52
D er rote Sturm leistete ihr den ganzen Weg Gesellschaft: ein stetes Brummen, wie das Pochen eines entzündeten Zahns. Auch das Monster war sehr interessiert. Sie fühlte, wie es sich vordrängte und die Nase an ihre Schädeldecke drückte, als wäre es ein Kind, das unbedingt draußen spielen möchte. O nein, das könnte dir so passen. Sie drängte es zurück, kaute auf ihrer Unterlippe und spürte, wie ihr das Monster einen wütenden Tritt versetzte. Tja, ätsch, du armes Baby.
Alex ritt geradewegs nach Nordwesten, um möglichst viele Meilen und ein Stück Wald zwischen sich und Finn zu bringen. Im Osten wurde der Himmel bereits hell, zuerst silbern und dann weiß, bevor er über ihr in hellem Türkisblau erstrahlte. Über das Klappern der Pferdehufe hinweg hörte sie jemanden rufen – eher belfern als schreien – , und das so abgehackt, dass Alex es für ein einzelnes Wort hielt, das ständig wiederholt wurde. Kommt von dem Plateau. Da hat jemand überlebt. Sie warf einen Blick in die Richtung, aber es standen zu viele Bäume im Weg und sie war zu weit weg, um einen Geruch aufzuschnappen. Es hätte aber auch nichts genützt, näher heranzureiten, sowohl wegen des Feuers als auch wegen der Veränderten, deren Gestank die Luft verpestete.
Sie war jetzt südlich vom Futterplatz und dieser grässlichen Pyramide. Es zog sie nicht gerade dorthin, und sie hatte auch keine Zeit für einen Abstecher, doch sie konnte nicht verhindern, dass sie es roch. Ebenso wie ihr Pferd, das jetzt scheute.
»Na schön«, sagte
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