Assassini
denen wir uns in Schrecken haben versetzen lassen, sind keine Herausforderung, die von innerhalb der Kirche ausgeht – gleichgültig, wer dahintersteckt! Sie sind Teil der Welt, die wir selbst geschaffen haben.
Sie waren nicht zu verhindern, weil wir uns in die Hände unserer Feinde gegeben haben. Es sind weltliche Morde, weil wir zu einem von vielen anderen Rädchen im Getriebe der weltlichen Maschinerie geworden sind … und die Morde sind der Tribut, den die Welt von uns eingezogen hat. Wir verstricken uns in gewissenlose finanzielle Machenschaften, in Verbrechen und Politik und die raffgierige Anhäufung von Reichtümern, und wir müssen den Preis bezahlen!
Oh, einige mögen hinter vorgehaltener Hand von den Assassini reden, aber sollten wir diesen Leuten glauben, dann machen wir uns selbst etwas vor. Wir sind blind gewesen, und die Assassini sind nichts weiter als ein Symbol, ein Werkzeug, das wir geschaffen haben, um uns selbst zu geißeln. Aber Sie, Heiligkeit, können das wache Auge der Kirche werden, Sie können das alles aufhalten … nur Sie …«
»Aber wie, Giacomo? Was soll ich tun? Was kann ich tun?« Calixtus, der keine Ader für Mystizismus besaß, fragte sich ernsthaft, ob ihm in Gestalt D’Ambrizzis eine Art Prophet gegenübersaß. Sprach Gott zu ihm? Hatte dieser alte Mann, der einst sein Mentor gewesen war, göttliche Eingebungen? Calixtus hatte keine Antenne für Wunder – weder göttlicher noch anderer Natur. Er war schon immer voll und ganz Pragmatiker gewesen, Bürokrat, und wie sollte ein Bürokrat eine derartige Situation verarbeiten? Dennoch; er war so viele Jahre Schüler des Kardinals gewesen … Die Kraft von D’Ambrizzis Persönlichkeit wirkte fast körperlich auf ihn ein. Sie strahlte hell wie eh und je unter der rauhen Schale dieses alten Mannes, war wie der Extrakt seines Geistes, die Quintessenz des Menschen D’Ambrizzi.
»Denken Sie einfach daran, wer Sie sind.«
»Aber wer bin ich, Giacomo?«
»Sie sind Calixtus. Denken Sie an den ersten Papst zurück, der diesen Namen trug, dann wird Ihnen Ihre Aufgabe klarwerden.«
»Ich weiß nicht …«
Die riesige Pranke D’Ambrizzis umklammerte plötzlich wie ein Schraubstock Calixtus’ Arm.
»Hören Sie mir zu, Calixtus … und seien Sie stark!«
Schwester Elizabeth lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. Die Redaktionsräume waren leer und dunkel. Es war zehn nach zehn; sie hatte vergessen, zu Abend zu essen, und ihr Magen fühlte sich an, als hätte der Kaffee ein Loch hineingefressen. Toter Punkt. Pause. Sie warf den billigen Kugelschreiber, dessen Mine ohnehin zu Ende ging, in Richtung Papierkorb, verfehlte ihn aber und hörte den Stift in irgendeine Ecke rollen. Großartig. Diesen Drei-Punkte-Basketballwurf bekam sie einfach nicht hin.
Wer, um alles in der Welt, war Erich Kessler? Warum stand sein Name auf Vals Liste?
Elizabeth hatte alles versucht. Fast alles. Bis auf den Besuch bei einem Wahrsager und der Befragung einer Alphabettafel. Wäre der Name Erich Kessler irgendwo anders aufgetaucht als auf Vals Liste, würde sie inzwischen davon ausgehen, daß dieser Mann gar nicht existierte. Aber Val war zu sorgfältig gewesen, zu akribisch. Daß der Name in ihren Unterlagen stand bedeutete, daß es einen Erich Kessler geben mußte und daß er auf irgendeine Weise mit den Ermordeten in Verbindung gebracht werden konnte. Die Tatsache, daß hinter seinem Namen kein Datum stand, bedeutete mit ziemlicher Sicherheit, daß er noch lebte, da die Monats- und Jahresangaben hinter den anderen Namen Sterbedaten gewesen waren. Aber wo steckte der Mann, verdammt noch mal?
Toter Punkt. Sackgasse. Was konnte sie tun?
Sie erwachte gegen Mitternacht, die Füße noch immer auf dem Schreibtisch.
»Das«, murmelte sie, »ist bescheuert.«
Sie verließ die Redaktion, ging zu ihrer Wohnung in der Via Veneto, konnte dort aber nicht mehr schlafen. Bevor es ihr recht bewußt wurde, war es Zeit fürs Joggen.
Dann begann der Tag, und sie wußte, was sie als nächstes tun würde.
»Hier ist Schwester Elizabeth, Eminenz. Es tut mir schrecklich leid, daß ich Sie stören muß …«
»Reden Sie keinen Unsinn, meine Liebe. Was kann ich für Sie tun, Schwester?«
»Ich muß Sie sprechen, Eminenz. Ich brauche nur eine Viertelstunde …«
»Verstehe. Also gut, heute nachmittag. Vier Uhr. In meinem Heim.« Er bezeichnete den Vatikan immer als ›mein Heim‹. Saint Jack.
D’Ambrizzi erwartete sie
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