Assassini
an.
»Sein Name ist der letzte auf Vals Liste. Der einzige Name, hinter dem kein Todesdatum vermerkt ist. Aber diesen Mann scheint es gar nicht zu geben. Wer ist er? Ist er das nächste Opfer im Rahmen irgendeines Planes?«
D’Ambrizzi betrachtete sie durch seine halb geschlossenen Krokodilsaugen. »Ich habe keine Ahnung, Schwester. Keine. Also, bitte, hören Sie damit auf! Lassen Sie die Finger davon!« Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, aber die Ausrufungszeichen bedurften keiner Lautstärke.
»Falls Erich Kessler als nächstes Opfer ausersehen ist, dann muß er wissen, warum die anderen ermordet wurden … und das bedeutet, daß Erich Kessler alle Antworten kennt.« Ihre Hände zitterten, und sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen, »Ich werde nach Paris fliegen. Val war dort. Sie hat dort gearbeitet.«
»Auf Wiedersehen, Schwester.«
Er öffnete ihr die Tür.
Im Vorzimmer saß Monsignore Sandanato an seinem Schreibtisch. Er blickte auf. »Schwester«, sagte er.
Dann war sie auch schon an ihm vorbei und eilte den Flur hinunter und wünschte sie alle zum Teufel, jeden einzelnen von diesen Kerlen!
Kardinal D’Ambrizzi wandte sich an Monsignore Sandanato.
»Haben Sie auf der Suche nach Erich Kessler schon irgend etwas in Erfahrung gebracht, Pietro?«
»Nein, Eminenz, noch nicht. Wie sich herausgestellt hat, ist dieser Mann sehr schwer zu finden.«
»Bleiben Sie dran, Pietro.«
FAn diesem Abend nahm Schwester Elizabeth an einem Essen im großen Speisesaal des Ordenshauses teil, zu dem sie schon vor längerer Zeit von Kolleginnen eingeladen worden war. Die Tafel war gedeckt mit Wedgwood-Geschirr und altem Tafelsilber, die Atmosphäre war locker und entspannt – genau das, was ihre zerrütteten Nerven momentan brauchten. Das Kerzenlicht brach sich in den kristallenen Gläsern; leise Stimmen; ruhige Gespräche; hin und wieder ein gedämpftes Lachen. Es war eine Umgebung, wie Elizabeth sie aufgrund ihres Berufes als Journalistin nicht mehr häufig antraf, die sie auch nicht sonderlich vermißt hatte, doch nun wurde sie von ihrer Ausstrahlung und ihrer inneren Harmonie umfangen und gab sich ihr hin. Sie erinnerte sich seit längerer Zeit zum erstenmal wieder daran, daß dies einer der Gründe gewesen war, die sie dazu bewogen hatten, Nonne zu werden. Die Gemeinschaft des Ordens war ein ruhiger Hafen inmitten der Welt dort draußen, die wie eine tobende, aufgewühlte See war.
Der Abend war ein Wunder der Entspannung: freundschaftliche Höflichkeit, gebildete Menschen, kultivierte Gespräche über kirchliche Fragen, die jedoch von Ironie und deutlichen Seitenhieben durchdrungen waren. Diese Frauen machten es der Kirche nicht leicht, waren ihr sogar ein Dorn im Auge, denn einige der schärfsten Kritiker am starren Dogmatismus und Konservativismus kamen aus den Reihen dieser Nonnen. So saßen sie also in ihren traditionellen schwarzen Ordensgewändern zusammen – für einige, wie Elizabeth, waren derartige Zusammenkünfte der einzige Anlaß, diese Kleidung zu tragen – und unterhielten sich. Der Abend und die Gesellschaft machten Elizabeth wieder bewußt, daß eine kirchliche Welt jenseits der des Vatikans und der huschenden Schatten der Assassini existierte. Es war der Beweis, daß es eine Welt der Ordnung und Frömmigkeit, Zucht und Geistlichkeit gab, auf der kein unerträglicher Druck lastete, in der es keine Zwänge gab wie für jene Männer, die ihr Leben im Vatikanpalast verbrachten. Jetzt, da sie inmitten ihrer Schwestern saß und den zwanglosen Gesprächen lauschte, den Berichten von Erlebnissen, Gedanken, Gefühlen, die sie so leicht nachvollziehen, nachempfinden konnte, erschien ihr das wie eine Oase des Friedens, weit weg von Schrecken und Blut und Angst.
Als sie später im Salon mit den alten, goldgerahmten Gemälden bei einer Tasse Espresso saß, dachte sie an Val und daran, wie viele Stunden sie beide in diesem Zimmer verbracht und mit ihren Schwestern Kaffee getrunken und geplaudert hatten … Arme Val. Was hätte sie getan, wenn D’Ambrizzi ihr eine derartige Abfuhr erteilt hätte? Die Frage war nicht leicht zu beantworten. Und wie, fragte sie sich, hätte Ben Driskill reagiert? Sie biß sich auf die Lippen, rang sich ein Lächeln ab. Ben hätte zu D’Ambrizzi gesagt, er solle sich zum Teufel scheren …
Schließlich rüsteten die ersten Schwestern zum Aufbruch, und auch Elizabeth verabschiedete sich. Die entspannende Wirkung der vergangenen Stunden schwand
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