Assassini
Bruder. Wieviel von seinem Geschwafel mochten Ben und Dunn wohl auf Anhieb als wertvolle Informationen betrachtet haben?
D’Ambrizzi als Simon Verginius? Blödsinn.
Aber wer stand hinter den Assassini! D’Ambrizzi konnte es einfach nicht sein, denn das, worüber die drei Männer geredet hatten – sowohl in der Gegenwart, als auch in der Vergangenheit –, war abgrundtief böse. Sie kannte D’Ambrizzi. Ein solcher Mensch war er nicht, konnte er niemals sein …
Wer war es dann?
Die Kurie selbst? Oder eine Verschwörergruppe in der Kurie? Oder doch eine Einzelperson? Ein Mann mit Macht und Einfluß: Fangio? Ottaviani? Indelicato? Oder war es jemand, den sie gar nicht kannte? Vielleicht jemand, der nicht unmittelbar dem kirchlichen Machtgefüge angehörte, einer der mächtigen Laien? Irgendein verdrehtes, verrücktes Äquivalent zu Curtis Lockhardt? Archduke? Oder der Collector? Wer waren sie?
Konnte es, fragte sie sich schläfrig, gar der Papst selbst sein?
Vielleicht zog eine unsichtbare Hand die Fäden, jemand, der niemals entdeckt werden konnte; eine Art Seuche, eine Pest, ein Symbol … und vielleicht erreichte er oder es sein Ziel oder ließ den Dingen ihren Lauf, und irgendwann würden die Morde enden und das Geheimnis langsam verblassen, und Generationen würden vergehen, bis die Assassini dereinst aus ihrem Schlaf geweckt und wieder morden würden, um die Geschicke der Kirche nach dem Willen ihrer geheimen Hohepriester zu lenken.
Elizabeth saß vor dem leeren Teller und dem leeren Weinglas und starrte hinaus auf den Balkon, wo der Mann sie zu ermorden versucht hatte. Sie sah ihn vor sich, sah die milchig-weiße tote Augenhöhle; sie spürte wieder das Gewicht des Kerzenleuchters in der Hand, die Wucht des Stoßes, als der Glaszylinder ihn im Gesicht traf … Wie konnte man die Erinnerung töten?
Sie hatte alles auf so schreckliche Weise zerstört.
Vielen Leuten ist überhaupt nicht bewußt, wie wichtig für eine Nonne oder einen Priester die Beziehungen zu Menschen sind, die nicht unmittelbar zur Kirche gehören. Die Leute konnten nicht wissen, welche Bedeutung solche Beziehungen hatten, welche Verästelungen sie beinhalteten, welche Hoffnungen sie in manchen Fällen darstellen konnten.
Ja, sie mußte der Tatsache ins Auge sehen, daß sie damals in Princeton die Beziehung zu Ben Driskill durch ihre Selbstsucht und Angst und die Weigerung, ihm zu helfen, kaputtgemacht hatte. Sie hatte sich hinter dem Schutzwall der Kirche versteckt, hatte dort Zuflucht vor einer Welt gesucht, mit der sie nicht fertig werden zu können glaubte – doch die Welt hatte sie hinter den Mauern hervorgezerrt, hatte sie ihres Schutzes beraubt. Und sie hatte Ben Driskill bewundert, hatte ihn gemocht, hatte sich zu ihm hingezogen gefühlt: Sie hatte sich ihm nicht deshalb anvertraut, weil er ihr einen Grund dazu gegeben hätte, sondern ihrer eigenen Fehler wegen, ihrer Zweifel und Ängste, was den Lebensweg betraf, den sie eingeschlagen hatte. Und nun ließ sie ihn für ihre Fehler bezahlen, ließ ihn die Zeche begleichen, während sie sich in Selbstzweifeln erging und sich unter den Rockschößen des Ordens versteckte.
Der Orden. In gewisser Weise hatte er ihr zu wenig abverlangt, und sie hatte ihm nur soviel gegeben, wie nötig gewesen war -anders als Val, die dem Orden sehr viel mehr geschenkt hatte, die ihn bereichert hatte, geistig, moralisch, und die ihm durch ihre Entschlossenheit und Hingabe zu einem neuen Selbstverständnis verholfen und ihn zu etwas Besserem geformt hatte, als er es vorher gewesen war. Bei diesen Gedanken fühlte Elizabeth sich der Freundschaft Vals nicht mehr würdig.
Wie konnte sie Ben jemals ihre eigene verschlungene Logik erklären, wo er doch nur ihre abweisende Kälte und die Demütigung durch ihr ganzes Verhalten vor Augen haben mußte, damals in Princeton? Sie wußte, daß er recht gehabt hatte: Seine Schwester war erst kurz zuvor ermordet worden, und sie, Elizabeth, hatte ihm sozusagen die Hand gereicht, doch als er sie ergreifen wollte, hatte sie sich von ihm abgewandt. Vielleicht waren sie jetzt, nach Avignon, quitt.
Und nun, zurück in Rom, wollte sie nichts als schlafen. Vielleicht war alles vorbei, wenn sie wieder aufwachte.
Doch der Schlaf erwies sich als unzuverlässiger Freund.
»Würden Sie die Güte haben, mir zu erklären, was mit der Nonne geschehen ist?«
»Er hat sie nicht töten sollen, Eminenz, bitte glauben Sie mir. Ich habe es ihm ausdrücklich gesagt, ich habe
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