Assassini
Gefallen?«
Dunn kannte die geheimnisvolle Geographie von Trastevere so gut wie die Stationen des Leidenswegs Christi. Er hätte fast einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen, als wir eine Brücke überquerten und in diesem Stadtteil Roms anlangten, so als wäre das Gewirr aus Straßen und Gassen und Ecken und Winkeln ein Äquivalent seiner Psyche. Er kannte sich hier so gut aus, daß er mich über Sehenswürdigkeiten aufklärte, die es gar nicht mehr gab.
»Das hier ist die Piazza San Apollonia. Dort drüben, auf der anderen Seite des Platzes, hat einst die Kirche San Apollonia gestanden. Längst verschwunden, natürlich. Aber sie war einmal ein Heim für reuige Frauen. Im August des Jahres 1520 suchte die Tochter eines Bäckers, ein Mädchen namens Margherita, in der Kirche Trost und Zuflucht. Margherita … heute kennt alle Welt sie. Sie war Raffaels Geliebte, das Mädchen auf einem seiner schönsten und berühmtesten Gemälde, ›Fornarina‹ – die Tochter des Bäckers. Sie hat ihm auch für seine Sixtinische Madonna Modell gestanden. Und für die ›Frau mit Schleier‹. Sie kam vier Monate nach Raffaels Tod zu den Nonnen von San Apollonia. Sogar auf seinem letzten Werk, der ›Verklärung Christi‹, das man heute in der Vatikanischen Galerie bewundern kann, ist sie zu sehen. Er hat das Bild dort drüben gemalt, auf diesem Platz.« Er ging weiter, wies auf das eine oder andere Gebäude oder Denkmal, erzählte und erzählte, bis wir schließlich in die Via della Lungaretta einbogen. Er war ein meisterhafter Psychologe. Er brachte mich auf andere Gedanken, gab mir Trost, besänftigte den Schmerz.
An der Piazza di San Maria setzten wir uns auf ein Glas Orvieto in ein Straßencafe. Der Brunnen auf dem Platz plätscherte und glitzerte in der Sonne, die Kinder spielten, und der Wein brachte mich vollends ins Leben zurück.
»Sie erzählen doch so gern Geschichten, Artie«, sagte ich, »erzählen Sie mir die über Ihre Waffe.«
»Oh, ja, sie ist eine Art Talisman. Ein Andenken aus meiner Zeit in der Armee. Ich habe nach dem Krieg in Rom studiert und die Waffe damals hiergelassen, bei einem guten Freund, der in Rom geblieben ist. Gestern habe ich mal bei ihm vorbeigeschaut, um ein bißchen über die alten Zeiten zu plaudern. Und ich hab’ mir gedacht, ich könnte bei der Gelegenheit ja auch mal nachsehen, wie es der alten Donnerbüchse noch so geht. Und ich habe festgestellt, daß mein Freund sich gut darum gekümmert hat.« Er zuckte die Achseln. »Aber machen Sie aus einer Mücke keinen Elefanten, Ben.« Er winkte dem Ober, uns noch zwei Glas Wein zu bringen. »Und jetzt sollten Sie mir mal ein bißchen was erzählen. Warum haben Sie vorhin, als Sie zu mir aufs Zimmer kamen, so ausgesehen, als wären Sie von einem Lkw angefahren worden? Wo liegt das Problem?«
Mir fiel es irgendwie leichter, mit Artie zu reden, als mit anderen Menschen. Vielleicht lag es daran, daß ihn nichts zu überraschen schien. Und außerdem wollte ich mir den Kummer von der Seele reden. Also erzählte ich ihm von Schwester Elizabeth und mir, die ganze Geschichte, angefangen mit jenem Abend im verschneiten Gramercy Park, als Val noch gelebt hatte, und wie es dann in Princeton zwischen uns beiden gewesen war, wie sie mir über Vals Tod hinweggeholfen hatte. Ich erzählte ihm, wie frisch und lebendig und klug sie gewesen war und wie sie es geschafft hatte, den Assassini auf die Spur zu kommen, wie sie unserem Feind eine Identität gegeben hatte, als er noch nichts weiter als der flüchtige Schatten eines alten Mannes mit silbernem Haar und einem Messer gewesen war. Sie hatte das uralte, verblaßte Muster richtig gedeutet. Sie hatte die Fährte gefunden, die zu Badell-Fowler geführt hatte – und damit auch die Fährte bis in die heutige Zeit. Selbst als alles in einer Sackgasse zu enden schien, hatte sie nicht aufgegeben, sondern die Arbeit vorangetrieben … und sie hatte recht gehabt. Das alles erzählte ich ihm. Ich erzählte ihm, daß ich mich in sie verliebt hatte, und ich erzählte ihm von unserer Unterredung im Park der Villa Borghese.
Er hörte geduldig zu und nippte am Wein, während der Wind auffrischte und ein bißchen nach Regen roch, weil er winzige Wassertropfen vom Springbrunnen zu uns herüberwehte.
»Lassen Sie den Kopf nicht hängen«, sagte er. »Sie ist eine Frau. Lord Byron hat einmal etwas sehr Kluges über die Frauen geschrieben, wie ich meine. ›Läßt man sich mit Frauen ein, ist es so, als ließe man
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