Assassini
Pächter war früher mal Priester in Neapel. Kommen Sie.«
Ich folgte ihm eine Gasse hinunter und dann bis zur Rückseite des Gebäudes. Dort stand einsam und verloren ein Auto, das seine besten Jahre hinter sich hatte und auch keinen Hehl daraus machte. Der Wagen war vor einer eisernen, einen Spaltbreit geöffneten Tür geparkt. »Na los«, sagte Dunn. »Nur nicht so schüchtern.« Er stieß die Tür auf und trat in einen schmalen, spärlich beleuchteten Flur, in dem es nach Spaghettisauce, Muscheln, Oregano und Knoblauch roch. In einem Zimmer am Ende des Flurs waren hinter der geschlossenen Tür Geräusche zu vernehmen. Jemand schleuderte Wurfpfeile auf eine Zielscheibe aus Kork. Die dumpfen Laute waren unverwechselbar. Vor der Tür blieben wir stehen. »Machen Sie schon, gehen Sie rein«, sagte Father Dunn.
Ein Mann hatte gerade die Pfeile aus der Scheibe gezogen. Er drehte sich um.
Ich hatte ihn seit langer, langer Zeit nicht mehr leibhaftig zu Gesicht bekommen. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war ich ein Junge in Princeton gewesen, der mit seiner kleinen Schwester Val ungeduldig auf dem Flur des elterlichen Hauses auf diesen Mann gewartet hatte, bis er endlich Daddys Arbeitszimmer verließ und mit uns spielen ging. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und ein weißes Hemd mit dunkler Krawatte; der gestärkte Kragen verschwand beinahe in den Speckfalten seines Halses.
Als er mich sah, erhellte ein breites Lächeln sein derbes Gesicht.
Er trat auf mich zu und blickte zu mir auf.
Dann packte er meine Schultern und umarmte mich.
»Mein Gott, ist das lange her, Benjamin. Ihr wart noch so kleine Kinder.« Er schüttelte mich wie eine riesige Stoffpuppe. Er hatte immer noch Bärenkräfte. »Benjamin.«
Er hielt mich umarmt, beugte den mächtigen Kopf ein Stück zurück. Ich blickte in die Augen von Giacomo Kardinal D’Ambrizzi.
Warum hatte Artie Dunn mich meinen Feinden in die Hände gespielt?
3
Schwester Elizabeth saß mit geschlossenen Augen hinter dem Schreibtisch in ihrem Büro; die Hände ruhten auf einem Stapel Druckvorlagen. Sie war aus dem Park direkt hierher ins Büro gekommen, und Schwester Bernadine hatte sie schnell und präzise über den Stand der Dinge unterrichtet, was Herstellungstermine, redigierte Pressetexte und alles weitere betraf. Am Schluß ihres kurzen Vortrags hatte Bernadine sich an einen Aktenschrank gelehnt, hatte eine im Weg befindliche Schublade mit einem Hüftschwung zugestoßen und gesagt: »Es geht mich ja nichts an, Elizabeth, aber fühlen Sie sich nicht wohl? Sie sehen ein wenig mitgenommen aus – haben Sie geweint?«
Schwester Elizabeth hatte den Kopf gehoben und leise gelacht. »Aaah«, sagte sie nachdenklich. »Ich glaube, nicht mehr als üblich.« Als sie die besorgte Miene ihrer Chefin vom Dienst sah, fügte sie hinzu: »Nein, nein, alles in Ordnung. Aber Sie haben recht, ich bin hundemüde.«
»Der Schock, als dieser Verrückte in Ihre Wohnung eingedrungen ist, kommt sicher erst jetzt so richtig durch.«
»Wahrscheinlich.«
»Sie sollten wirklich mal Urlaub machen, Liz.«
»Ach was. Keine Sorge. In ein paar Tagen bin ich wieder voll auf der Höhe.«
Und jetzt saß sie allein am Schreibtisch in ihrem abgedunkelten Büro. Aus dem kleinen, tragbaren Sony-Radio erklang leise Popmusik. Elizabeth öffnete widerwillig die Augen und blickte auf den Bildschirm ihres Textcomputers.
Sie hatte die kurzen, skizzenhaften Charakterisierungen eingelesen, die sie vor einigen Wochen über D’Ambrizzi und Indelicato erstellt hatte, und nun starrte sie auf deren Lebensgeschichten -auf wenige Zeilen reduziert – und dachte über diese beiden so unterschiedlichen Männer und die Wege nach, die sie jetzt so dicht an den Papstthron geführt hatten. Sie fragte sich, welche Wege die beiden während des Krieges gegangen sein mochten. Jetzt schien es keinen Zweifel mehr daran zu geben, daß D’Ambrizzi in einer geheimen vatikanischen Mission im besetzten Paris gewesen war – wie gern würde sie jetzt sein mysteriöses ›Testament‹ lesen, das er in New Prudence zurückgelassen hatte –, aber in diesem Moment interessierte sie fast noch mehr, welche Aufgaben Indelicato damals wahrgenommen hatte. Er war in Rom gewesen. Als Pius’ rechte Hand …
Sie versuchte, sich die beiden Männer als Feldherren vorzustellen, die ihre jeweiligen Anhänger wie feindliche Armeen versammelten, um gegeneinander zu marschieren und die Entscheidungsschlacht um das große Ziel zu schlagen, das
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