Assassini
Nachrichtensprecher der Today-Show hatte nur herzlich wenig Konkretes zu berichten. Ich kannte den Grund, denn ich wußte genug darüber, auf welche Weise die Erzdiözese bestimmten Informationen einen Riegel vorzuschieben oder sie zurechtzubiegen vermochte. Das New York Police Department hatte eine Erklärung verbreiten lassen, die ganze vier Sätze umfaßte. Der Inhalt des Statements war nichts weiter als ein schnell zusammengeschusterter Nachruf auf Lockhardt und eine kurze Würdigung Heffernans.
Die Nachricht von Schwester Valentines Ermordung war bisher nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Das würde noch schnell genug der Fall sein; ich konnte mir schon vorstellen, wie die Fernsehkommentatoren zwei und zwei zusammenzählten. Um bestimmte Verbindungen zwischen den Morden zu sehen, bedurfte es wahrlich keines scharfen Verstandes.
Ich starrte durch das Panoramafenster der Cafeteria hinaus in die Welt des Halloween auf den Fluren, ließ den Blick gedankenversunken über die von Kindern angebrachten Dekorationen schweifen, schaute über all die orangefarbenen und schwarzen Hexen auf Besenstielen und grinsenden Kürbisgesichter hinweg. Je mehr ich über die Morde nachdachte, um so deutlicher schien ich irgend etwas Grauenhaftes, unversöhnlich Böses sehen zu können, wie eine Armee von Goten oder Vandalen, die am Horizont aufmarschierte. Doch da war nur ein kleiner Bestand von Bäumen mit knorrigen, nackten Ästen, von den Stürmen kahlgeschoren, ein hoffnungslos unzureichender Windschutz gleich hinter dem Parkplatz. Aber in meiner Phantasie sammelte sich der gespenstische, namenlose Feind hinter diesen trostlosen, jämmerlichen Bäumen. Meine Schwester war eingebunden gewesen in das schmutzige Geschäft namens Kirche. Und die Kirche hatte es verstanden, sich auch in mein Leben wieder hineinzumogeln und darin herumzupfuschen.
Schließlich kamen zwei Ärzte, die meinen Vater schon eine halbe Ewigkeit kannten, in die Cafeteria und strichen sich übers Kinn wie zwei Schauspieler in einer Probevorstellung von Magnificent Obsession. Mein Vater hatte einen schweren Herzinfarkt erlitten. Es sah nicht gut aus. Aber es hätte schlimmer sein können. Jetzt hieß es erst einmal: warten. Momentan ging es den Ärzten vor allem darum, die Presse im Zaum zu halten. Es müsse vermieden werden, daß das Krankenhaus zum Tummelplatz von Heerscharen sensationslüsterner Reporter wurde, die aus erster Hand erfahren wollten, ob Hugh Driskill seinen Geist aufgab oder nicht.
Das Krankenhauspersonal wußte noch nichts von der Ermordung meiner Schwester, und ich hatte auch nicht die Absicht, ein Wort darüber zu verlieren. Sie konnten es in den Nachrichten verfolgen wie alle anderen. Gegen Mittag verließ ich das ›Doktorheim‹, wie Val das Krankenhaus als kleines Mädchen bezeichnet hatte, und fuhr durch den gefrierenden Schneematsch zum elterlichen Haus zurück.
Das Ehepaar Garrity, das meinem Vater den Haushalt führte, war bereits zur Stelle und erwartete mich mit betretenen Mienen und tröstlicher Behaglichkeit. Ich hatte sie vom Krankenhaus aus angerufen und ihnen die traurige Geschichte erzählt, und sie hatten sich sofort auf den Weg gemacht, um etwas zu kochen und Ordnung zu schaffen für den Fall, daß Gäste kamen und über Nacht blieben. Sie bereiteten Schinken und Truthahn und Gott weiß was alles zu, und dann waren sie verschwunden, und ich war allein. Ich erledigte noch ein paar unumgängliche Telefonate, unter anderem rief ich mein Büro und das meines Vaters an. Als ich den Hörer auflegte, war ich so allein wie noch nie zuvor im Leben.
Es war später Nachmittag, und das graue Tageslicht wich allmählich der Dämmerung. Ich saß im Long Room, ohne mich dazu aufraffen zu können, das Licht einzuschalten oder die sorgfältig im dunklen Kamin aufgeschichteten Holzscheite zu entzünden. Ich ließ in Gedanken noch einmal die schrecklichen, verworrenen Ereignisse der vergangenen vierundzwanzig Stunden vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Ich kam mir vor wie ein Goldsucher, der inmitten eines öden, kargen Landstrichs verzweifelt und ohne Hoffnung nach dem Schimmer eines kleinen Stück Goldes Ausschau hält. Dann durchzuckte mich ein Gedanke.
Ich stieg die Treppe hinauf, blieb im dämmrigen Korridor stehen. Ich hatte Sam Turner vom Krankenhaus aus angerufen, um ihn von dem Zusammenbruch meines Vaters zu unterrichten. Sam hatte mir gesagt, daß er am Morgen die Leute von der Spurensicherung hierher geschickt hatte.
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