Assassino
erinnert, was er soeben erzählt hat?«, fragte Chris den Arzt. In seiner Stimme klangen wieder die Zweifel mit, die er Ilyas gegenüber hegte.
»Das ist nicht ungewöhnlich. Unser Gehirn ist ein wundersames Gebilde. Es schützt uns auf vielen Arten vor traumatischen Erinnerungen. Manchmal verdrängt es sie ganz tief ins Unterbewusste und manchmal verkleidet es sie. Manchmal lassen sie sich in wenigen Sitzungen wiederherstellen und bearbeiten und manchmal widersetzen sie sich mit aller Macht.«
»Und damit haben wir es hier zu tun?«
Ilyas hatte sich aus dem Sessel erhoben und streckte sich. Kati spürte, dass er ihre Unterhaltung aufmerksam verfolgte.
»Ich weiß es nicht.« Guégen ging zum Fenster und zog die Vorhänge beiseite. »Seine Geschichte war sehr detailreich, so als habe er sie wirklich erlebt. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, muss er die Informationen irgendwo herhaben. Aber die Tatsache, dass er sich an nichts erinnert, spricht für eine sehr starke Blockade.«
»Und können Sie sie durchbrechen?«, fragte Kati.
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Dazu muss ich noch ein paar Sitzungen mit Ihrem Freund durchführen.« Er wandte sich Ilyas zu. »Aber vielleicht hilft es ja bereits, wenn du dir die Aufzeichnung anschaut.«
Der Alte führte Ilyas in einen benachbarten Raum und kehrte gleich danach wieder zurück. Wie auf ein geheimesKommando öffnete sich die Tür, und ein junger Mann mit ernstem Gesicht trat ein, auf den Händen ein Tablett mit frisch gefüllten Teegläsern.
»Mein Assistent«, stellte Guégen ihn vor. »Simon macht nicht nur den Tee, sondern vervollkommnet seine psychiatrische Ausbildung bei mir, damit er eines Tages meine Praxis übernehmen kann.«
Kati betrachtete den Neuankömmling neugierig. Er sah so gar nicht aus, wie sie sich einen Psychiater vorstellte, mit seinen Markenjeans und dem schwarzen Rollkragenpullover. Andererseits: Wer war sie, um so ein Urteil zu fällen? Würde man sie vielleicht für eine Archäologin halten?
Simon grüßte, stellte das Tablett ab und zog sich dann kurz mit Guégen in eine Ecke zurück, um mit ihm einige Worte zu wechseln. Dann verschwand er lautlos aus dem Raum.
»Euer Freund sitzt jetzt nebenan und sieht sich die Videoaufzeichnung der Sitzung an«, erklärte der Alte. »Simon wird ihn dabei über eine weitere Kamera im Auge behalten, damit ich notfalls eingreifen kann, falls es zu Problemen kommt. Was ich allerdings nicht glaube«, fügte er schnell hinzu.
»Videos von Leuten, die sich Videos mit sich selbst betrachten?«, fragte Chris amüsiert. »Die Psychologie scheint ja einige Fortschritte gemacht zu haben.«
Guégen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Eine faszinierende Technologie, die für den therapeutischen Prozess sehr hilfreich ist. Die Reaktion des Patienten auf seine Berichte unter Hypnose kann sehr aufschlussreich sein. Und sie ist natürlich viel spontaner und unverfälschter, wenn der Patient sich unbeobachtet glaubt.«
»Da bin ich ja mal gespannt, wie Ilyas auf seine Märchenstunde reagiert«, kommentierte Chris sarkastisch. »Will er uns tatsächlich weismachen, er habe früher in einem Dorf im fernen Iran oder Turkmenistan gelebt?«
»Ich denke nicht, dass er uns etwas vormacht«, widersprach Kati. »Er kann sich doch an nichts erinnern.«
»Behauptet
er
. Aber stimmt das wirklich?«
»Du glaubst ihm nicht?«
»Keineswegs.« Chris fuhr mit der Hand durch die Luft. »Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er ein Auftragsmörder ist.«
Kati starrte ihn entgeistert an. »Wie kommst du denn darauf?«
»Kennst du die Geschichte der Assassinen nicht?«
»Ich weiß, was jeder weiß. Sie waren eine islamische Sekte.«
»Sie waren keine Sekte, sie waren ruchlose Killer. Und dein Ilyas behauptet, einer von ihnen zu sein.«
»Er hat nichts dergleichen gesagt«, erwiderte Kati vehement.
»Er hat immerhin von Alamut gesprochen«, warf Guégen ein, der dem Wortwechsel bisher schweigend gefolgt war. »Und Alamut war die erste Festung der Assassinen.«
»Das könnte auch seine außergewöhnlichen Kampfesfähigkeiten erklären.«
Kati schüttelte den Kopf. »Im einen Atemzug erklärst du, er würde uns etwas vormachen, und im nächsten stempelst du ihn zu einem Assassinen ab, dem Mitglied eines Ordens, den es seit vielen Jahrhunderten nicht mehr gibt. Nur eins davon kann stimmen. Du widersprichst dir, Chris. Wenn du ihn als Killer bezeichnest, dann nimmst du seine Erzählungfür bare Münze. Aber
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