Assassin's Creed: Der geheime Kreuzzug (German Edition)
werden, erreichte er den Turm und kletterte dort hinunter auf den Boden. Sein nächstes Ziel waren die Kornlager, von wo eine steinerne Treppe zu einer Reihe gewölbter Tunnel hinabführte.
Dort verhielt er und lauschte, den Rücken flach gegen die Wand gedrückt. Er konnte Wasser in den kleinen Bächen plätschern hören, die durch die Tunnel flossen. Der Kerker des Ordens lag ganz in der Nähe. Die Zellen wurden so wenig genutzt, dass man sie als Lagerräume hätte verwenden können, wäre die Feuchtigkeit nicht gewesen. Altaïr ging davon aus, dass Malik der einzige Insasse war.
Er schlich vorwärts, bis er den Wächter sehen konnte. Er saß im Tunnel, den Rücken an eine Seitenwand des Zellenblocks gelehnt. Sein Kopf pendelte im Schlaf hin und her. Er war ein gutes Stück von den Zellen entfernt, hatte sie nicht einmal im Blickfeld; was der Mann also zu bewachen glaubte, war schwer zu sagen. Altaïr war zugleich wütend und erleichtert über die Nachlässigkeit des Wächters. Er bewegte sich lautlos an ihm vorbei – und dann wurde schnell klar, warum der Mann so weit entfernt saß.
Wegen des Gestanks.
Von den drei Zellen war nur die mittlere geschlossen. Altaïr trat darauf zu. Er wusste nicht, was er jenseits des Gitters zu sehen erwartet hatte, aber er wusste, was er da roch, und hielt sich die Nase zu.
Malik lag zusammengekauert auf den Binsen, die man über den Stein gestreut hatte – und die den Urin nicht aufzusaugen vermochten. Malik trug Lumpen und sah aus wie ein Bettler. Er wirkte ausgezehrt, und durch seine zerrissene Kleidung konnte Altaïr sehen, dass seine Rippen sich deutlich unter der Haut abzeichneten. Die Wangenknochen stachen scharf umrissen aus Maliks Gesicht hervor. Sein Haar war lang, sein Bart wild gewuchert.
Malik befand sich schon viel länger als nur einen Monat in dieser Zelle. So viel stand fest.
Der Anblick ließ Altaïr die Fäuste ballen. Er hatte vorgehabt, mit Malik zu sprechen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, aber die Wahrheit stand dem Freund wie auf die magere Brust und die zerfetzte Kleidung geschrieben. Wie lange wurde er schon gefangen gehalten? So lange jedenfalls, dass man Altaïr und Maria eine Nachricht hätte schicken können. Und seit wann war Sef tot? Darüber wollte Altaïr lieber nicht nachdenken. Aber er würde nicht zulassen, dass Malik noch einen Augenblick länger so eingesperrt blieb.
Als der Wächter die Augen aufschlug, sah er Altaïr vor sich stehen. Dann gingen für ihn die Lichter aus. Als er später erwachte, fand er sich eingeschlossen in der nach Pisse stinkenden Zelle wieder, wo er vergebens um Hilfe rief, während Malik und Altaïr längst fort waren.
„Kannst du gehen, mein Freund?“, hatte Altaïr gefragt.
Malik hatte ihn mit trübem Blick angesehen, die Augen voll tiefer Qual. Als er sich endlich auf Altaïr konzentriert hatte, waren Dankbarkeit und Erleichterung in seine Miene getreten, beides so ehrlich und tief empfunden, dass jeder Zweifel, den Altaïr noch hegen mochte, sofort dahinschwand.
„Für dich werde ich gehen“, sagte Malik und versuchte, sich ein Lächeln abzuringen.
Doch als sie durch den Tunnel zurückliefen, hatte sich schnell gezeigt, dass Malik keine Kraft zum Gehen hatte. Altaïr hatte sich den unversehrten Arm des Freundes um die Schultern gelegt und Malik zu den Leitern des Turms getragen, dann über die Wehrgänge, und schließlich war er mit ihm an der Westseite der Zitadelle nach unten geklettert, wieder ohne von den Wachen ertappt zu werden. Dann erreichten sie endlich ihre Unterkunft. Altaïr schaute erst nach links und rechts, bevor sie hineinschlüpften.
52
Sie legten Malik auf eine Pritsche nieder, und Maria ließ ihn in kleinen Schlucken aus einem Becher trinken.
„Danke“, keuchte Malik. Sein Blick hatte sich ein wenig geklärt. Er setzte sich etwas auf. Marias Nähe schien ihm unangenehm zu sein, als hielte er es für unehrenhaft, von ihr umsorgt zu werden.
„Was ist mit Sef geschehen?“, fragte Altaïr. Der Raum wirkte sehr klein, nachdem sie sich nun zu dritt darin befanden. Als Altaïr seine Frage stellte, schien er noch kleiner zu werden, als zöge er sich enger um sie herum.
„Er wurde ermordet“, antwortete Malik. „Vor zwei Jahren unternahm Abbas seinen Putsch. Er ließ Sef umbringen, dann platzierte er die Tatwaffe in meinem Quartier. Ein anderer Assassine schwor, dass er einen Streit zwischen Sef und mir mitgehört hätte, und Abbas machte den Orden glauben, dass ich
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