Assungas Liebesnest
Er verübelte es seiner Tochter nicht, daß sie sich so verhielt. Das änderte sich bei ihr immer sehr schnell.
Bevor sie die normale Straße erreichten, mußten sie über einen Feldweg fahren, der an einem Wald entlangführte. Blake dachte daran, daß vor nicht allzu langer Zeit Fremde in dieser Gegend gewesen waren. In der Nacht war dies geschehen. Er hatte sie nicht gesehen. Nur die Spuren waren geblieben. So hatte jemand seinen Ascher einfach auf dem Feldweg geleert, und auch Reifenspuren hatten sich in das Erdreich hineingedrückt.
Das war an diesem Tag nicht mehr möglich. In der vergangenen Nacht hatte es gefroren, und der Boden hatte eine harte Schicht, über die der Jeep rumpelte. Er war nicht besonders weich gefedert, und so bekamen die beiden die Stöße unsanft mit.
Blake wartete darauf, daß sich seine Tochter beschwerte, doch Jenny hielt sich zurück und schaute weiterhin aus dem Fenster, um sich die Landschaft anzusehen, die wie überzuckert aussah. Der Frost hatte die Feuchtigkeit auf den Bäumen zu Eis werden lassen und das Geäst mit einer hellen Schicht überzogen. Ein winterlicher Wald wirkte immer kahl, das war auch hier der Fall. Es gab kaum noch Farben. Nur die dunklen Vögel am Himmel standen im Kontrast zu der Umgebung. Auch für sie war es nicht mehr so leicht, Nahrung zu finden.
Jenny sagte noch immer nichts. Blake sah ihr Profil. Die kleine Nase, die vorgeschobene Unterlippe, die blonden Augenbrauen und das ebenfalls blonde Haar, das noch seine Naturfarbe besaß. Wobei Jenny schon laut darüber nachgedacht hatte, es sich grün färben zu lassen. So würde sie zu einem Förster als Vater passen, hatte sie gemeint.
Sie blies gegen die Scheibe und auch eine Haarsträhne aus der Stirn, bevor sie sagte: »He, was ist das denn?«
»Was meinst du?«
»Halt mal an.«
»Und dann?«
»Ich glaube, da ist eine Fledermaus. Ja, eine dieser großen Dinger. Ach du Scheiße. Halt doch mal an!«
Peter Blake hatte zwar nichts gesehen, aber er wollte seine Tochter nicht noch mehr verärgern und trat auf das Bremspedal. Die normale Straße war schon zu sehen. Sie zog sich quer zum Feldweg hin. Soeben fuhr ein dunkler Bus vorbei wie ein rollender Schatten.
Jenny hatte es nicht im Jeep gehalten. Sie war schon nach draußen geklettert, stand jetzt zwei Schritte vom Fahrzeug entfernt und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um nach der Fledermaus Ausschau zu halten. Peter Blake ging langsam um die Motorhaube des Jeeps herum, um neben seiner Tochter stehenzubleiben.
»Ist sie noch da?«
»Nein, schade.«
»Na bitte.«
»Nichts na bitte. Ich habe sie gesehen.«
»Wo denn?«
Sie deutete zum Waldrand. »Dort sind sie herumgeflogen. Ehrlich.«
»Sie oder nur eine?«
»Eine.«
»Aha. Kann das nicht auch ein Kolkrabe gewesen sein? Eine Krähe, eine Dohle...«
»Ja, ja oder ein UFO...«
»Unsinn, du weißt, was ich meine.«
»Und ich weiß auch, was ich gesehen habe.«
Blake gab nicht nach.
»Ich weiß auch, daß du zur Schule mußt, meine Liebe. Zu lange sollten wir uns hier nicht aufhalten und in die Luft starren.«
»Ich starre nicht nur in die Luft. Ich suche sie. Da über den Bäumen habe ich sie fliegen sehen.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Abgetaucht. Wahrscheinlich haben wir sie erschreckt.«
»Ja, das wird es wohl gewesen sein. Komm jetzt, Jenny. Ich habe noch zu tun.«
Jenny murrte zwar, aber sie gab nach. Da die Schule an diesem Tag erst später begann, waren sie auch im Hellen gefahren. So hatte sie die Fledermaus sehen können, und sie ärgerte sich jetzt, daß sie nicht wieder auftauchte, da hätte ihr Vater den Beweis mit eigenen Augen sehen können.
Sie stieg wieder ein und schloß die Tür.
Peter wollte den Motor anlassen und noch kurz mit seiner Tochter sprechen, als er vor sich die Bewegung sah.
Auf einmal saß er regungslos. Vor ihm und gut sichtbar flatterte tatsächlich ein Wesen, das keine Ähnlichkeit mit einem Vogel hatte, da mußte er Jenny recht geben. Mit schnellen hektischen Schlägen der Schwingen bewegte es sich durch die Luft und schien irgendwie orientierungslos zu sein. Mal stieg es in die Höhe, dann kippte es wieder ab und versuchte auch, den Wald zu erreichen, was nicht einfach war. Denn es sackte immer wieder tiefer, und es fiel ihm nicht leicht, oberhalb der Bäume zu bleiben.
Jenny lachte und klatschte dabei in die Hände. »Was habe ich dir gesagt, Pa? Das ist eine Fledermaus.«
»Du hast recht«, gab er flüsternd zu.
Sie rieb ihre Hände. »Toll
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