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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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mir von seinen Freunden des Abends erzählt, wenn er mich hektisch, mit lächelnder Zärtlichkeit verlässt, wie so ein Abschied halt ist, weine ich innerlich natürlich ein bisschen; aber bald finde ich mich damit ab und kehre in meine Kammer zurück … Vorgestern war es anders. Ich spürte, dass Julien in Paris bleiben würde, dass er mich verließ, um zu der anderen zu gehen … Die andere, deren Anwesenheit und Gestalt immer deutlicher wird, obwohl Julien sie mit Schweigen und Nebel umgibt. Irgendwann werde ich mich auf die Suche nach diesem Schatten machen, ich werde ihn zermalmen …
    Nein, der Schatten bin ja ich, meine Schattenhände können nicht mal fest genug den Hals eines anderen Schattens umklammern. Ich muss Julien mit seinem ganzen Anhang hinnehmen, und ganz langsam rankommen, mich ständig entschuldigen, bis ich ihn einhole und neben ihm laufe, dann sollen uns die Leute verfolgen oder im Stich lassen, wie sie wollen; aber erst mal rankommen …
    Ich habe die Autotür zugeknallt und bin gelaufen, so schnell es mein Fuß erlaubte, ohne mich umzudrehen, ohne auf den Motor zu hören, der schon in den ohrenbetäubenden Nachtverkehr startete. In der Metro sah ich mich in der Scheibe weinen, Nation – Étoile, Étoile – Nation, Metrogondeln, ein alter Trick, um mich zu beruhigen.
    Ich stieg eine Station vor der meines Hotels aus. Ich wollte zu Fuß in Richtung Bett gehen und wenn möglich unterwegs noch offene Bars finden, wo man mich nicht kannte; die in meinem Hotel war unvereinbar mit meinem Durst ohne Grenzen, ohne Eleganz, meinem Durst ohne Durst. Ich kippte mehrere doppelte Cognac, ich leerte einen letzten im Hotel. Die anderen waren noch zu frisch, um durchzuschlagen. Ich merkte überhaupt nichts, weder Schwindel noch Hitze, ich war nüchtern und klar. Ich holte meinen Schlüssel, ging nach oben, ohne den Fahrstuhl zu nehmen, ich zögerte den Moment hinaus, wo ich nicht mehr aufrecht stehen, artikulieren, laufen musste. Schon räumten die Gedanken meinen Kopf, ballten sich zusammen, ließen ein einziges starres Bild zurück: die nicht angebrochene Sherryflasche, die Julien vor kurzem mitgebracht hatte – ich mochte keinen Sherry –, auf einem Regalbrett, die Flasche, die ich leeren würde, schnell, auf die ich mich noch vor dem Ausziehen stürzen würde. Um an das Fach ranzukommen, musste ich auf einen Stuhl steigen, der Cognac schwappte jetzt gegen meine Augen und meine Ohren. Dann machte ich in Zeitlupe Toilette, nahm nach jeder Bewegung einen Schluck, hörte zu, wie der Alkohol in meine Adern rann und sie verdünnte. Den Rest der Flasche goss ich in mein Zahnputzglas, stellte es in Reichweite ab und fiel völlig erledigt auf das Bett.
    Während drei Umdrehungen des kleinen Zeigers schwankte ich zwischen Leben und Tod, eingerollt in ein Meer zerwühlter Decken und Laken, die mich erstickten, mich fesselten, sich dann wieder in beängstigende, leere Räume auflösten, in denen ich ruderte und strampelte wie eine Ertrinkende. Das Telefon klingelte, ich schrie: »Hallo, hallo«, ohne ans Abnehmen zu denken. Ich suchte den Tod im Schatten der Vorhänge, die geschlossen blieben, im Wechsel von Halbdunkel und absoluter Finsternis. Nacht, Tag, Nacht.
    Heute früh beschloss ich, wieder mit Leben anzufangen. Ich fürchtete, die Zimmermädchen würden meine Tür schließlich mit dem Generalschlüssel öffnen.
    Heute Abend fühle ich mich extrem gut. Ein leichter Watteball rollt hinter meinen Augen herum. Ab und zu dröhnen die Stimmen, die Geräusche und die Musik aus der Jukebox bis zum Schwindel, Gesichter und Gegenstände blähen sich und explodieren vor meinen Augen, dann blinzele ich ein paarmal, und alles erhält wieder sein normales, klares, beruhigendes Aussehen.
    »Oh, entschuldige, Suzy …«
    Der Mann, der gerade in die Bar kommt, ist einer von denen, die ich schon mit raufgenommen habe – ich nehme sie mit rauf, ich nehme sie aus, aber ich nehme sie selten zweimal; wenn sie es satthaben, mich an den Orten zu suchen, die ich ihnen genannt habe, finden sie eine andere oder verschwinden. Aber dieser hier ist besonders hartnäckig.
    »Ich suche Sie seit einer Woche«, sagt er und setzt sich auf den Platz, den Suzy als gute Kollegin sofort freigemacht hat, der Kunde ist König.
    Mir tut der Schädel weh von den vielen Pastis in den Bistros.
    »Aber jetzt habe ich Sie wiedergefunden, das zählt.«
    Er hat große, noch schwarze Brauen, seine grauen Haare sind wie eingepflanzt, künstlich, hart

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