Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Aber er tat es nicht. Er stand nur auf.
Jake schluckte, wich jedoch nicht zurück, sondern steckte die Hände nur trotzig in die Taschen seiner Jeans. »Ich bin nicht schwul.«
»Lügner.« David verzog keine Miene. »Bist du doch.«
»Okay. Und wenn? Das hat doch nichts zu bedeuten, oder? Wir leben nicht mehr in der Steinzeit. Es gibt heute Menschenrechte. Sie können mich nicht einfach beschimpfen und sagen, dass ich schwul bin.«
David schnalzte missbilligend und schüttelte den Kopf. »Du spielst die Schwuchtel-Diskriminierungskarte aus? Das ist gegen die Regeln, Boyo. Genauso schlimm wie die Rassenkarte.« Er legte den Kopf auf die Seite und sagte mit gekünstelter Zwitscherstimme: »Leider können wir Ihre Schwuchtelkarte nicht akzeptieren. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihr Schwuchtelkartenkonto gesperrt wurde. Diese Entscheidung basiert auf einem mehrfachen exzessiven Überschreiten des Limits in der Vergangenheit. Bitte vernichten Sie die Karte unverzüglich; sie darf nicht mehr eingesetzt werden. So. Siehst du die Armbrust da oben an der Wand? Da oben?«
Jake hob den Blick. Sally konnte die Galerie nicht sehen, aber sie wusste, was da oben war: eine Armbrust in einer Vitrine, auf die ein Strahler gerichtet war. An der Rückwand der Vitrine hing ein gerahmtes Foto von der untergehenden Sonne über dem afrikanischen Busch.
»Mit diesem Scheißding hab ich ein verdammtes Nilpferd geschossen. Damals, als gesetzestreue Weiße, die hart arbeiteten, noch Rechte hatten. Bevor diese uns weggenommen und den Tieren und den Schwarzen und den Schwuchteln gegeben wurden. Halte mich ruhig für politisch inkorrekt, aber du , mein Sohn, bist hier nicht willkommen. Also« – er deutete mit einer gebieterischen Kopfbewegung zur Tür –, »also schaff diese Tussikarre von meinem Kies, bevor ich meinen Freund da oben aus dem Schrank nehme und dir einen Bolzen in deinen süßen kleinen rosaroten Bubi- derrière schieße.«
Jake blieb mit erhobenem Kopf stehen und starrte die Armbrust an. Es blieb lange still. Sally sah, wie sein Adamsapfel sich auf und ab bewegte, als wollte er etwas sagen. Dann schien er es sich anders zu überlegen. Er senkte den Kopf, und ohne ein Wort zu sagen und ohne David noch einmal in die Augen zu schauen, wandte er sich ab und ging. Seine Schritte knirschten auf dem Kies, man hörte das hohe Zirpen einer Funkentriegelung, und dann wurde eine Autotür zugeschlagen. Der Wagen entfernte sich langsam.
Zitternd löste Sally sich von der Wand und wählte Millies Nummer.
26
Der Zwischenfall verfolgte Sally den ganzen Tag. Auch als Jake weggefahren war und sie mit Millie gesprochen und sich vergewissert hatte, dass sie wohlbehalten draußen im Garten war, ja sogar nachdem sie drei Stunden mit der Datenverarbeitung gekämpft hatte und wieder Ruhe in Lightpil House eingekehrt war. David war nach Jakes Abgang mit einem Glas Champagner in der Hand umhergewandert und hatte unaufhörlich vor sich hin gemurmelt und etwas von Stil und Format und der Unmoral der Homosexualität geredet, was ihr Unbehagen bereitete. Jetzt hatte sie eigentlich keinen Zweifel mehr daran, dass Steve recht gehabt hatte: Unter der Oberfläche verbargen sich bei David Goldrab unergründliche Weiten. Und sie hatte das Gefühl, dass diese Abgründe sich unvermittelt auftun konnten.
Auf der Heimfahrt hielt sie Millie einen langen Vortrag. »Die Sache ist ernst. Jake bedeutet nichts Gutes . Es sind wirklich unangenehme Leute, mit denen du dich da eingelassen hast.«
»Na, für einen von denen arbeitest du«, antwortete Millie mürrisch, und dagegen konnte Sally natürlich nichts einwenden. Jetzt, da Julian nicht mehr da war, um sie zu schützen, hatten sie und Millie eine Grenze überschritten, und allmählich sah sie, wie anders es dahinter zuging.
»Ich suche eine Lösung. Mir wird schon was einfallen.«
»Wirklich?« Millie starrte gelangweilt und ungläubig aus dem Fenster. »Dir wird wirklich was einfallen?«
Sally war erschöpft, als sie schließlich in die Einfahrt von Peppercorn einbogen, und das Letzte, worauf sie Lust hatte, waren andere Leute. Aber im Garten standen zwei Campingbusse, und Isabelle und die Teenager warteten auf sie. Sie zog die Handbremse an. Das hatte sie völlig vergessen: Heute war der Tag, an dem Peter und Nial die Busse abholen wollten, für die sie gespart hatten. Zwei alte Rostlauben, mit Matsch und Mist beschmiert bis in die Radkästen. Sie musste sich zu einem Lächeln zwingen, als sie
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