Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
gesagt: »Bei allen andern wissen die Eltern, was sie tun.«
Isabelle legte ihr eine Hand auf den Arm. »Nial und ich möchten es bezahlen. Darum sind wir hier. Im Ernst – ich tu’s gern. Wenn du sie fahren lässt, will ich gern für das Ticket aufkommen.«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Es geht einfach nicht. Du hast mir schon mehr geholfen, als ich verdiene.«
»Aber denk doch an all das, was du im Laufe der Jahre für mich getan hast. Du hast mir auch geholfen und mir so viel gegeben. Ich kann die Geschenke nicht mehr zählen, die ich von dir bekommen habe, all die Bilder, die du für uns gemalt hast. Bitte lass mich dir helfen.«
Sally seufzte tief. Sie nagte an der Unterlippe und schaute aus dem Fenster. Zum zweiten Mal in vierundzwanzig Stunden saß sie da und bestand darauf, dass sie es allein schaffen würde. Schließlich wandte sie sich wieder Isabelle und Nial zu, die mit erwartungsvollen Gesichtern dastanden. »Ich kann dein Geld nicht annehmen«, sagte sie. »Danke für das Angebot, aber ich kann es wirklich nicht. Millie wird eine Möglichkeit finden müssen, es zu verdienen. Oder sie muss das Ticket zurückschicken.«
» Mum ! Manchmal kann ich es echt nicht fassen !«
Millie schob ihren Stuhl zurück, rannte hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Isabelle und Nial schauten stumm zu Boden.
»Sally«, sagte Isabelle schließlich, »bist du wirklich sicher?«
»Absolut. Ich muss allein sehen, wie ich da durchkomme.«
Sie stand auf, stellte die Gläser in die Spüle und wandte den beiden den Rücken zu. Ihre Schultern hingen müde herab. Herrjemine, dachte sie, allmählich wird der Spruch selbst mir langweilig.
28
Eine der Katzen, die sich um Zoës Hintertür drängten, hatte sich an der Pfote verletzt. Sie sah es, als sie am späten Abend nach der Arbeit draußen stand, ihren längst überfälligen Jerry’s Rum mit Ginger Ale trank und zusah, wie sie alle um sie herumwimmelten und gierig auf das Futter warteten, das sie ihnen jeden Abend hinausstellte. Die Kleine hielt sich abseits der Meute und spähte nervös zu ihr herauf. Sie sah mager aus, als habe sie nicht genug gefressen.
Zoë trank ihr Glas aus, ging hinein, um neue Katzenkekse zu holen, und lockte die kleine Katze aus dem Schatten hervor. Es gelang ihr, sie zu greifen und ins Haus zu tragen, um sie genauer anzuschauen. Ein Gummiband hatte sich um die Hinterbeine geschlungen. Kein Wunder, dass sie nicht laufen konnte. Das Band hatte die Beine wundgescheuert, aber die Haut war noch nicht verletzt. Sie schnitt es vorsichtig durch und wickelte es ab. Dann legte sie die Hände unter die Vorderbeine und hielt sie vor sich hoch, um sie überall genau zu untersuchen. Die kleine Katze starrte sie an, und ihre Beine baumelten idiotisch herunter.
»Guck nicht so«, sagte Zoë und stellte das Tier auf den Boden. Sie holte ein Katzenklo und einen Sack mit etwas Katzenstreu hinten aus dem Schuppen und stellte den Kasten zusammen mit einem Futter- und einem Wassernapf auf den Boden der Toilette im Erdgeschoss. Dann trug sie die Katze hinüber und setzte sie davor ab. »Nur für eine Nacht, bis es dir besser geht. Fang gar nicht erst an, dich dran zu gewöhnen. Das hier ist kein Hotel.«
Die Katze fraß hungrig. Zoë richtete sich auf, um hinauszugehen, und dabei fiel ihr Blick auf den Spiegel über dem Waschbecken. Sie blieb stehen und starrte sich an. Rotes Zottelhaar. Hohe Wangenknochen und sonnenverbrannte Haut. Sie sah ziemlich zerstrubbelt aus. Vor achtzehn Jahren, in den Clubs, hatte sie das Haar kurzgeschnitten und weißblond getragen. Nur einer hatte ihren richtigen Namen gekannt – der Manager des Clubs, der längst nicht mehr hier war, sondern irgendwo in Übersee. Niemand würde DI Benedict als das Mädchen erkennen, das vor all den Jahren auf der Bühne gestanden hatte. Sie war eine Meisterin der Verkleidung. Sie konnte alles verbergen, wenn sie wollte.
Sie schob den Ärmel hoch und starrte die Striemen und Narben an, ungleichmäßig geformte Verletzungen, die von ihren eigenen Fingernägeln stammten. Auch etwas, das sie sehr geschickt versteckte. Ben hatte sie in der ganzen Zeit, die sie zusammen waren, noch nicht bemerkt. Sie hatte sie mit Make-up bedeckt und dafür gesorgt, dass er die schlimmsten nie zu Gesicht bekam. Die Male waren die Folgen eines Tricks, den sie im ersten Trimester im Internat gelernt hatte: Immer wenn sie an Mum und Dad und Sally dachte, wie sie zufrieden vor dem Kamin saßen und einander
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