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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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angefangen, das Werkzeug herauszusuchen, das du für das Haus brauchst. Und während ich alles sortierte, hat’s mich erwischt.« Er zeigte nach nebenan ins Wohnzimmer, wo eine Abdeckplane auf dem Boden von lockigen Hobelspänen übersät war. Eine Nagelpistole balancierte auf einem Black & Decker Workmate, und darunter stand ein Werkzeugkasten. »Ich wollte schnell den Türrahmen reparieren, aber ich verpfusche alles.«
    »Ich mache uns was zu essen.« Sally nahm ihre HomeMaids-Schürze ab. »Mach du nur weiter.«
    »Sally, ich …«
    »Ja?«
    Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Nichts. Da ist, äh …« Er wedelte mit einer Hand unbestimmt in Richtung der Schränke. »Ganz hinten ist Sesamöl, wenn du welches willst.«
    Er ging zurück ins Wohnzimmer. Sally faltete die Schürze zusammen und legte sie auf die Arbeitsplatte, und dabei beobachtete sie ihn aufmerksam. Er blieb nebenan in der Tür stehen, hob einen professionell aussehenden Werkzeuggürtel hoch, der von Meißeln und Hammergriffen starrte, und schnallte ihn um seine Taille. Dann hob er die Nagelpistole auf, schaltete sie ein und fing an, Nägel in den Türrahmen zu schießen. Er schaute sich nicht nach ihr um. Im Laufe der Monate hatte sie begriffen, dass Steve von Zeit zu Zeit solche Stimmungen hatte, wenn ihn etwas beschäftigte. Der eine oder andere Kunde sorgte dafür, dass er für ein paar Tage still und in sich gekehrt war, als habe er einen Blick in eine Welt geworfen, von der er lieber nichts gewusst hätte. Vielleicht dachte er jetzt an die Reise, die er am Samstag antreten würde; er musste einen Klienten in Seattle besuchen. Oder es hatte etwas mit dem Meeting zu tun, das er gestern in London gehabt hatte. Er war deshalb schon vorher besorgt gewesen. Mit wem er da zusammentreffen würde, hatte er nicht gesagt. Vielleicht war es Mooney gewesen. Der, dessen Namen sie vergessen sollte.
    Sie ging zum Kühlschrank. Thunfischsteaks in rot glänzendem Wachspapier lagen im mittleren Fach. Ein Topf Basilikum sah aus, als stamme er vom Biomarkt, ein paar Gurken waren da, und als sie tiefer grub, fand sie noch ein altes Röhrchen Kapern. Sie würde Salsa verde machen. Sie nahm die Zutaten heraus und fing an, das Basilikum zu hacken. Dabei wanderte ihr Blick hinüber zu Steve. Jedes Mal, wenn er einen Nagel in den Türrahmen feuerte, zuckte sie zusammen.
    Als die Sauce fertig war, machte sie Öl in der Pfanne heiß und stand mit dem Rücken zur Wohnzimmertür, als auf den Knall eines abgeschossenen Nagels ein lautes Klappern folgte. Sie ließ die Pfanne los und drehte sich um. Er wandte ihr die Seite zu; seine linke Hand lag oben am Türrahmen, und die Rechte drückte er an die Wand. Die Nagelpistole lag auf dem Boden, wo sie hingefallen war, und drehte sich langsam um sich selbst. Er hielt den Kopf gesenkt und stand völlig still da; nur sein linkes Bein wippte krampfhaft auf und ab, als trete er sich selbst. Er sah sie aus den Augenwinkeln an, und sein Gesicht war grau und verkniffen.
    »Ich glaube, meine Hand ist im Arsch, Sally, wenn du den Ausdruck gestattest.« Er biss die Zähne zusammen und deutete mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf seine linke Hand, ohne hinzuschauen. »Die Pistole ist auf einen Astknoten gestoßen und dabei weggerutscht. Sieht so aus, als wäre die Hand wirklich im Arsch. Könntest du sie dir ansehen?«
    Sie drehte das Gas ab und kam hastig herüber. Auf den ersten Blick sah die Hand normal aus, wie sie da am Türrahmen lag. Die Finger deuteten zur Decke. Als sie näher hinschaute, sah sie, was passiert war. Er hatte sich selbst an den Rahmen genagelt. Sie erhob sich auf die Zehenspitzen und untersuchte die Hand.
    »Was ist?«, fragte er gepresst. »Was siehst du?«
    Sie sah den Stahlglanz eines Nagelkopfs, der aus dem fleischigen Ballen seines Daumens herausragte. Sie sah ein einzelnes, ölig glänzendes Blutrinnsal, das senkrecht von der Wunde zum Handgelenk hinunterlief, wo es sich in ein Delta zerteilte, das sich zwischen den Haaren auf seinem Arm hindurchschlängelte. Und sie konnte sich noch mehr als das vorstellen: Sie konnte sich die Muskulatur und die Knochenstruktur ausmalen, denn die hatte sie nach dem Unfall mit Zoë vor fast dreißig Jahren auf der Röntgenaufnahme ihrer eigenen Hand gesehen. Sie schloss kurz die Augen und versuchte, über dieses Bild hinwegzukommen. Es erfüllte sie immer mit einer unentrinnbaren Traurigkeit. »Ich kann es nicht genau sagen«, behauptete sie. »Ich verstehe nichts

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