Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Atlan 01 - Lepso 01 - Totentaucher

Atlan 01 - Lepso 01 - Totentaucher

Titel: Atlan 01 - Lepso 01 - Totentaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
Vom Netzwerk:
spannte. Ich konnte ihr ins Gesicht sehen. Der Regen ergoss sich über ihr Gesicht, sie leckte ihn mit einer langen, schmalen Zunge auf. Sie studierte mich. Sie stand aus der Hocke auf. Dabei schlüpfte sie aus der Hand wie aus einem Kleidungsstück. Die lose Hand blieb an meinem Kinn, streichelte meine Wangen weiter. Sie kletterte mir aufs Gesicht. Ihr Mittelfinger legte sich über meine Nase und tippte auf die Stirn. Der Zeige- und der Ringfinger lagen an meinen Schläfen.
    Meine Augen blieben auf diese Weise frei, so dass ich der Frau in die Augen blicken konnte. Ihre Iris war wie Terkonit. Sie neigte sich zu mir, an mein Ohr. Ich spürte ihre Zunge, rau und nass. Sie flüsterte: »Ich zeig dir meins, zeig du mir deins …«
    Die Wirklichkeit um mich versank.
     
     
    Eine Stimme erklang in meinem Kopf, hell und mädchenhaft, sie sagte: »Ich zwinge dich ins Joch der Schmerzen. Jahreszeit der Qual.« Ich sah mich in einer eisigen Winterlandschaft liegen. Ich erhob mich, leicht und mühelos. Ich stand am Rand einer tief verschneiten Straße. Ein schwarzes Gespann zog an mit vorbei, ein Begräbnisschlitten, von zwei Rappen gezogen. Ich bemerkte, dass nur die Kufen eine Spur in den Schnee zogen. Die Hufe trafen den Boden nicht, sondern schwebten eine Handbreit über dem Boden.
    Neben den Pferden lief ein schwarzhaariges Mädchen im weißen Messdienergewand, Kragen und Saum schwarz abgesetzt. Sie hielt eine Kerze, auf der eine schwarze Flamme im Wind zitterte. Als sie an mir vorüber schritt, sah sie mich an. Sie war vielleicht sieben oder acht Jahre alt und von einer unfassbaren Schönheit. Ihre Iris hatte den Glanz eines fremden Metalls. Sie blickte mir direkt in die Augen und leckte sich langsam und anzüglich die Lippen.
    Ich sah in den Aufbau des Schlittens. Eine Glasscheibe gewährte Einblick ins Innere. Dort lag die Leiche eines alten Mannes. Sie lag mitten in einem Haufen von Kinderspielzeug – ich konnte einen Hampelmann sehen, ein faustgroßes Kugelraumschiff, einen Piratendegen aus Plastik. Das sehr kurz geschnittene Haar des Toten war schlohweiß, die zerfurchte Haut grau, die buschigen Brauen ausgebleicht. Der Tote drehte mir das Gesicht zu. Er hatte die Augen offen, sie waren schwarz und tränten. Das ganze Gesicht drückte eine endlose stumme Qual aus, einen universalen Schmerz, der über den Tod hinaus reichte.
    Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass es mein Gesicht war, mein Pattri-Gesicht.
    Die Messdienerin kicherte und sagte: »Das ist ja gar nicht dein Gesicht, nicht wahr? Warte, es soll alles richtig sein.«
    Sie steckte die Kerze mit der schwarzen Flamme durch das Glas, das nachgab wie die Membran einer Seifenblase. Sie fuhr mit der Flamme in meinem Gesicht herum, radierte die Pattri-Züge aus und brachte mein eigenes Gesicht zum Vorschein. Die Schwärze troff aus den Augen, und die Iris schimmerte rötlich.
    Das tote Gesicht öffnete den Mund. Ich konnte sehen, dass er zahnlos war. Aber der Mund blieb nicht in dieser normalen Stellung, sondern öffnete sich weiter und weiter, und ein zweiter Mund schob sich aus dem Schlund des ersten hervor und sagte: »So ist es besser, nicht wahr?«
    Jetzt bemerkte ich einen starken Wind, der gegen den Schlitten blies. Die Pferde stemmten sich gegen diesen Sturm, kamen aber keinen Millimeter voran.
    »Solche Schindermähren haben wir«, hörte ich wieder die liebliche Stimme des Mädchens. Sie hob ihr Messdienergewand bis über die Hüfte, sie war nackt. »Das gefällt dir, du geiler alter Bock?«, fragte sie und ich hörte sie fröhlich kichern. Gegen meinen Willen spürte ich, wie sie mich erregte. »Leg dich doch schon einmal hin, ich komme gleich nach.«
    Und die Leiche – meine Leiche – röchelte: »Nun komm. Tu, was sie sagt. Lass uns eins werden!« Meine Leiche wirkte aufgedunsen.
    Das verworfene Kind war an mich heran getreten. »Du bist ja immer noch hier draußen«, hauchte sie. »Solltest du nicht längst liegen und dich auf mich freuen?« Sie fuhr mit ihrer Hand zwischen meine Beine.
    Ich sah, dass die Hand aus Silber war, dass sie glühte. Und dann hörte ich das Mädchen und den Mann im gläsernen Sarg – mich – synchron sagen: »Komm ins Zentrum allen Seins.«
    Ich spürte, wie der letzte Widerstand in mir brach und rief heiser: »Ich komme!«
     
     
    Eine Hand hatte mich am Schopf gepackt und schüttelte mich eher sanft.
    »Kommen Sie, kommen Sie zu sich. Es ist vorbei.«
    Mein Schädel fühle sich an, als ob er in Trümmern

Weitere Kostenlose Bücher