Atlan 07 - Illochim 01 - Das Relikt der Macht
der Menschheit. Ich hatte weder an ihren wabenartigen Behausungen noch an dieser kartografischen Darstellung mitgewirkt. Mit diesen Steinzeitmenschen konnte ich weder die Illochim-Figuren noch die Schrift und die Austernmuscheln mit den Steinzeitmenschen in Verbindung bringen. Aber so oder ganz ähnlich würde ihr Aufenthaltsort auf dem Planeten wohl ausgesehen haben. Ich war jetzt sicher, dass selbst Ricos Spionsonden diese Siedlung nicht erspäht und er ihr daher kein Interesse entgegengebracht hatte.
Bevor ich einschlief, dachte ich an die tote Olgej, Tristan, Simmi Orloff und Greta Gale. In der Rangfolge der Gefährlichkeit nahm sie den ersten Platz ein. Noch vor Jahren war sie eine Frau von kalter Schönheit gewesen. Zu viel Alkohol, zu wenig Schlaf, unkontrolliertes Essen, zu viel wüstes Leben – man sah es. Heute schien ihr ein Weg erstrebenswert, der mit gutem Aussehen wenig, aber mit willkürlich ausgelebter Macht viel zu tun hatte.
Kapitel 16
16. April 3103
Tristan hatte mir den Weg genau beschrieben. Das 33-stöckige Haus mit dem rostigen, mit Zeichen, Buchstaben und Bildern über und über besprühten Baucontainer auf dem Flachdach in der Absanthastreet 61 war kaum zu verfehlen. Ich näherte mich den verdorrten Pflanzen und dem Gerümpel des Daches im Schutz des Deflektorfeldes, das den kleinen Gleiter umhüllte. Ich ließ das Gefährt einen halben Meter über dem kümmerlichen Rasenfleck schweben, schaltete eine Strukturlücke und sprang hinunter.
Dabei hatte ich einen Kanister Trinkwasser, ein Badetuch, ein Paket Konzentratrationen und eine Flasche Wein, vorsorglich mit gelockertem Korken. Sonst würde Odysseus nicht mit mir reden, hatte Tristan gesagt.
Ein schneller Rundblick zeigte mir nicht nur die teils neuen, teils verwitterten Sprayhologramme an den Wänden des Containers, sondern auch, dass Diogén da Odysseus Vinci buchstäblich das Viertel überblickte.
Vor dem Eingang blieb ich stehen und rief ins Dunkel hinein: »Diogén da Vinci! Ein Besucher, der nicht alle Tage anklopft, möchte mit dir reden.«
Ich wartete.
Dumpfe Geräusche drangen aus der Behausung. Am Rand des Daches tauchten einige blaugefiederte Vögel ihre Schnäbel ins Wasser einer überfließenden Regenwassertonne. Nach einiger Zeit trat ein weißbärtiger, kahlköpfiger Greis, in eine schwarzgelbe Kombination im Zebramuster gekleidet, ins Freie. Er trug eine altmodische Sonnenbrille und blinzelte, als er sie abnahm. Er hatte die typischen Augen eines Arkoniden.
Es war zehn Uhr vormittags. Die Sonne schien mit aller Kraft. Ich stellte die Gastgeschenke ab.
»Ich kenne dich nicht«, krächzte er. »Wer hat dich geschickt?«
Ich betrachtete ihn genauer. Er schien tatsächlich uralt zu sein, aber gesund und mit intaktem Verstand. Vielleicht konnte er auch mich »lesen«. Ich antwortete: »Tristan Li schickt mich. Er ist traurig, weil Olgej Zara tot ist. Und du sollst mir einen Spruch oder einen Rat mitgeben.«
Langsam hob er den schmalen Kopf, betrachtete mich lange und antwortete mit überraschend kräftiger Stimme: »Tristan ist ein braver Junge. Es tut mir Leid wegen der kleinen Zara. Ich habe sie rechtzeitig vor Greta gewarnt. Wie ist es geschehen?«
Ich sagte es ihm. Er versenkte seinen Blick in meine Augen, und ich hatte kurz das Gefühl, dass er meine Maske durchschaute.
»Schlimme Zeiten, Arkonide«, sagte er leise. »Sie werden das Viertel abreißen, trotz der Proteste, und erst recht, nachdem so viel zerstört worden ist. Du bist gekommen, um der Bewegung ein Ende zu machen.«
»Nötigenfalls ein Ende mit Schrecken«, antwortete ich. »Wie kommt es, dass ein alter Arkonide hier hockt und tagelang die Wellen eines virtuellen Meeres anstarrt?«
»Würde ich tagein, tagaus, in die Gesichter der Menschen starren müssen, verlöre ich meine Ruhe.«
»Du wirst sie auch verlieren, wenn das Haus abgetragen wird.«
»Bis dahin bin ich längst woanders. Dir machen Orloff und Gale Sorgen?«
»Nicht mehr lange. Wirst du sie warnen?«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das wie ein uralter Text klang. Ich verstand mühsam: »… also sprach er und panzerte sich mit schimmernder Rüstung … und gebot, in die Hand die Waffen des Krieges zu nehmen … « Diogén hob den Zeigefinger steil in die Luft und sprach, nach einer Pause: »Ich habe nicht nur sie gelesen. Sie werden ihre gottgleiche Stimmung mit übler Not bezahlen. Sie hätten es nicht tun sollen. Zu spät. Orloff wird
Weitere Kostenlose Bücher