Atlan 09 - Illochim 03 - Der Traum des Navigators
Datum wir heute haben.«
»Heute ist der 15. Juni 3103«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Der Ertruser nickte langsam. Für lange Sekunden versank er in dumpfes Brüten.
»Dann ist es bereits über vierundzwanzig Jahre her«, sagte er schließlich mit einer Schwermut in der Stimme, die für einen Mann seiner Statur seltsam unpassend wirkte.
»Können Sie sich das vorstellen, Atlan? Vierundzwanzig Jahre in einem Loch wie diesem zu leben? Vierundzwanzig Jahre von seiner Familie getrennt zu sein und nicht zu wissen, ob es ihr gut geht? Als ich am 16. Februar 3079 von Ertrus aufbrach, war meine jüngste Tochter vier Jahre alt. Inzwischen ist sie erwachsen und hat ihren Vater nie wirklich kennengelernt.«
»Ich kann es mir vorstellen«, stimmte ich zu. »Und jetzt berichten Sie, Mr. Zess. Je eher ich weiß, was hier vorgeht, desto eher bin ich in der Lage zu helfen.«
Kapitel 21
15. Juni 3103
Atlan
»Die ORO MASUT VI startete wie gesagt am 16. Februar 3079 vom Raumhafen von Baretus«, eröffnete Moltek Zess seine Erzählung.
»Ich arbeitete damals bereits seit einigen Jahren für Kreit Pharmaceuticals , eine Tochter der GCC mit Hauptsitz auf Ertrus und Produktionsanlagen auf Olymp und Ferrol. Wir waren auf die Herstellung bioaktiver Wirkstoffkomponenten für Kombinationspräparate spezialisiert und machten hervorragende Geschäfte. Die ORO hatte ein paar Millionen Liter Glykolproteine geladen, die für einen Kunden auf Terra bestimmt waren. Wir hatten etwa die Hälfte der Strecke zur Erde zurückgelegt, als es während eines Orientierungsaustritts passierte.
Die Diskusschiffe kamen aus dem Nichts. Innerhalb weniger Sekunden legten sie ein unheimliches, silbriges Netz um unser Schiff. Sämtliche Geräte auf Hyperenergiebasis fielen aus; der Notstrom reichte gerade noch für die Lebenserhaltung. Dann wurde es dunkel, und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einer stinkenden Matratze irgendwo in dieser verdammten Grube und hatte das hier …«
Er beugte sich zur Seite und schob das Oberteil seiner Kombination hoch. Eines der mir bereits bekannten Geschwüre hatte sich unmittelbar über dem Steiß gebildet, allerdings war es nicht gelb, sondern schmutzig braun und hob sich kaum von der dunklen Hautfarbe des Mannes ab.
»Sie nennen es Sinterbuckel «, erklärte Zess. »Jeder hier hat einen.«
»Wozu?«, fragte ich.
»Damit man den Mut nicht verliert«, stieß der Ertruser hervor. Mit einem Mal wirkte er zornig, geradezu aggressiv. »Damit man nicht auf dumme Gedanken kommt. Damit man arbeitet, bis man vor Erschöpfung zusammenbricht und dabei auch noch lächelt. Die Eiterbeule macht glücklich – allerdings nur, wenn man ein guter und produktiver Sklave ist.«
»Und ich vermute«, sagte ich ruhig, »dass man diese Sinterbuckel nicht einfach entfernen kann.«
»Natürlich nicht.« Moltek Zess brachte seine Kleidung wieder in Ordnung. »Ich habe es selbst mit ansehen müssen. Schon kurz nach meiner Ankunft hier ist ein alter Ara während eines Erztransports mit seinem Buckel zwischen zwei Loren geraten und hat sich das Ding einfach abgerissen. Es hat keine fünf Sekunden gedauert, da war er tot wie ein ertrusisches Mastschwein am Drehspieß.«
»Und der Sinterbuckel erzeugt Glücksgefühle?«
»Nur wenn man arbeitet«, bestätigte der Riese. »Je mehr man sich verausgabt, desto besser fühlt man sich. In den Ruhephasen dagegen wird man schnell rastlos und unzufrieden. Man kann es dann gar nicht mehr erwarten, bis die nächste Schicht beginnt und man wieder in die Erzadern einfahren darf. Ohne eine strenge Kontrolle durch die Schichtführer würde hier niemand länger als ein paar Jahre überleben. Wir würden buchstäblich schuften bis zum Umfallen.«
Offenbar manipuliert der Sinterbuckel das System der Neuromodulatoren , überlegte der Extrasinn. Es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass so gut wie jeder höher entwickelte Organismus fähig ist, eine Reihe von Botenstoffen zu produzieren, die bestimmte psychophysiologische Prozesse auslösen. Dazu gehören Trauer, Wut und Angst ebenso wie Freude, Stolz oder Verliebtheit.
Biogene Amine , gab ich nachdenklich zurück. Modifizierte Aminocarbonsäuren, die im Körper nur in sehr geringen Mengen vorkommen, jedoch maßgeblich an der Entstehung von Gefühlen beteiligt sind.
So ist es , bekräftigte der Logiksektor. Ende des 22. Jahrhunderts hatte man auf Terra noch die Hoffnung, aus den entsprechenden Forschungsergebnissen neue Medikamente
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