Atlan TH 0002 – Schergen der SOL
...«
»Ja?«
Tordya sah den Pyrriden an. Sie hatte auf seltsame Weise Angst vor ihm, empfand aber gleichzeitig ein stetig wachsendes Vertrauen. Die in ihr widerstreitenden Gefühle stürzten sie in immer größere Verwirrung. Wahrscheinlich war sie tatsächlich verrückt geworden.
»Ich habe einen Freund«, gestand sie leise und senkte den Kopf. Warum erzählte sie dem Pyrriden das?
»Das wundert mich nicht«, sagte der Pyrride ohne jeden Spott in der Stimme. Tordya wurde noch verlegener.
»Nicht so einen Freund«, sagte sie stockend. »Es handelt sich nicht um einen Ferraten.«
»Sondern?« Tordya presste die Lippen aufeinander. Wenn sie aussprach, was sie dachte, würde der Pyrride sie wahrscheinlich auf der Stelle töten – bei Voorn Mekher wäre sie diesbezüglich sogar absolut sicher gewesen. Aber dieser Mann war anders, war anständig .
»Ich bin mit einem Buhrlo befreundet«, sprudelte es aus ihr heraus. »Ich weiß, dass sich das nicht schickt, aber ich kann nicht anders. Sie sind nicht wie wir, das weiß ich, aber sie sind schließlich auch von Müttern geboren worden.«
»Absolut«, sagte der Pyrride. Er schien nicht im Mindesten entsetzt oder angeekelt zu sein; er tat vielmehr so, als sei es völlig normal, dass eine Ferratin und ein Buhrlo befreundet waren, dass sich Kastenangehörige mit Vertretern der unteren Klassen einließen.
»Ich würde diesen Buhrlo gerne kennenlernen«, sagte Jon Tengor leise. Tordya schloss für einen langen Moment die Augen. Wieder flammte Misstrauen in ihr auf. War das eine Falle?
Der Pyrride lächelte wieder. Es war ein freundliches, offenes Lächeln; ein Anblick, der Tordya schon lange nicht mehr zuteilgeworden war. In der Ferratengruppe, in der sie gearbeitet hatte, waren Heuchelei und ein respektloser Umgangston an der Tagesordnung gewesen.
»Du kannst mir trauen«, sagte Tengor. »Ich bin kein Pyrride, wie du sie bislang kennengelernt hast. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.«
»Wie hast du mich überhaupt gefunden?«, wollte Tordya wissen. »Und wo sind die anderen?«
»Ich habe sie abgehängt«, sagte Tengor. »Willst du mich nun zu deinem Freund führen?« Tordya zögerte und schwieg, dann nickte sie.
»Komm«, forderte sie Tengor auf. »Du musst mir allerdings zeigen, wo wir uns befinden – es ist ein ziemlich weiter Weg zwischen meinem Heiligtum und der Pyrridenhöhle von Voorn Mekher.«
Sie verließen den Raum, in dem es – wie sie erst jetzt bemerkte – seltsam still war. Es hörte sich an, als sei das Heiligtum erloschen – für die Ferratin ein erschreckender Gedanke. Sie stellte außerdem fest, dass Tengor die Verkleidungsplatte, durch die sie den Raum betreten hatte, wieder an ihren alten Platz zurückgeschoben hatte. Offenbar legte der seltsame Pyrride keinen Wert darauf, seinen Kollegen zu begegnen. Eine weitere Ungereimtheit im an Ungereimtheiten reichen Charakter dieses Mannes.
Sie schritt hinter dem geheimnisvollen Pyrriden durch verlassene Räume. Eine beklemmende Stille lag über diesem Teil der SOL. Nichts rührte sich. Der Boden war sauber – anscheinend funktionierten noch ein paar Reinigungsdiener, sonst allerdings nichts.
»Ich möchte wissen ...«, begann Tordya, brach dann aber ab, weil sie über ihre eigene Kühnheit erschrak.
»Ja?«, ermutigte sie Tengor. Die Frau sagte sich, dass sie schon so viele Regeln und Gebote missachtet hatte, dass es auf ein paar mehr oder weniger nun auch nicht mehr ankam.
»Ich hätte gerne gewusst, wie es früher hier einmal ausgesehen hat«, sagte Tordya. »Es hat mich immer bekümmert, dass wir keine andere Aufgabe haben sollen als die, das Bestehende zu bewahren. Wozu? Für wen und was?«
»Du stellst kluge und wichtige Fragen«, sagte Tengor lächelnd. Tordya zuckte mit den Schultern.
»Bestraft werde ich ohnehin, wenn ihr ... Ich meine, wenn sie ...« Tengor lachte leise, und das machte die Frau auf eine aufregende Weise wütend und glücklich zugleich.
»... wenn die Pyrriden mich zu fassen kriegen«, stieß sie hastig hervor. Sie erkannte sich selbst nicht mehr. Dieser Mann war kein Pyrride. Er war freundlich und sanft, während Pyrriden – im günstigsten Fall – als mürrisch, wortkarg und verschlossen galten. Er war intelligent und rücksichtsvoll. Und er behandelte sie nicht als das billige Flittchen, das die meisten anderen Männer in ihr sahen.
»Ich möchte wissen, wie es früher gewesen ist und was die Zukunft bringen wird«, sagte Tordya mutig. »Die SOL
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