Attentage
eine Antwort kommt, fühlt sich Sameer nicht besser. Aber es war ja auch nicht zu erwarten, dass sein geheimnisvoller Fahrgast Smith oder Jones heißen würde. Zu seiner Beruhigung spielt er den Ablauf des Plans nochmals in Gedanken durch. Sie werden zuerst alle Kuchen und Torten für das Dessertbuffet in die Küche bringen. Danach muss er mit seinem Mitfahrer die zweistöckige Torte auf dem metallenen Ständer zum Buffettisch in den VIP-Saal tragen. Dann wird er die Veranstaltung allein verlassen. Einige Minuten später wird der Amerikaner versuchen, Jamie Boone eine Torte ins Gesicht zu werfen. Vermutlich will er dafür seine mitgebrachte Torte verwenden, die er mit etwas besonders Ekeligem präpariert hat. Sameer fühlt sich immer unwohler.
Aber er wird ja zur Zeit des Tortenwurfs bereits mit dem Lieferwagen zum Flughafen unterwegs sein, wo sein Kontaktmann Ahmad beim McDonald’s-Imbiss mit dem restlichen Geld und einem Flugticket nach Istanbul auf ihn warten wird. Auch seinen gepackten Koffer wird er ihm dort zum Einchecken übergeben. Ahmad hat alles bis ins Detail geplant und ihm schon vor drei Wochen aufgetragen, ihm seinen gepackten Koffer zu bringen. Das kam Sameer übertrieben vor, aber Ahmad schien nichts dem Zufall überlassen zu wollen. Vielleicht würde ihm sein Auftraggeber auf dem Flughafen schon berichten können, ob der Amerikaner die Torte wirklich in das Gesicht der Schauspielerin werfen konnte.
Aber eigentlich kann Sameer das völlig egal sein. Er muss nur mehr pünktlich zum Einchecken, Boarding und Abflug um 21.40 Uhr auf dem Flughafen sein. Von Istanbul wird er mit dem Bus drei Tage nach Syrien fahren und in Damaskus auf seine Familie aus Pakistan warten – und ein neues Leben beginnen. Wahrscheinlich wird er dort mit seiner Frau einen kleinen Laden für Kosmetikprodukte eröffnen. Das hatte sie sich immer gewünscht. Alles würde gut werden. Sameer biegt zum Rathaus ab und bemerkt erleichtert, dass er zu schwitzen aufgehört hat.
MITTWOCH, 4. APRIL, 19.15 UHR | WIEN, RATHAUS
Abdul steigt im Innenhof des Rathauses aus dem Lieferwagen und erstarrt. Sie werden von mindestens zehn Männern umringt und eine hagere Frau schnauzt Sameer an. Obwohl Abdul kein Wort versteht, ist ihm aus den auf ihn gerichteten Blicken klar, dass sie über ihn reden und Sameer offensichtlich alle zu beruhigen versucht.
Als Abdul in die Tasche greift, um seinen Reisepass hervorzuziehen, wirft ihn einer der umstehenden Männer zu Boden und reißt ihm eine Hand auf den Rücken, während ihn ein anderer abzutasten beginnt und den Ausweis hervorzieht.
„Er wollte nur seinen Pass zeigen“, sagt der Kripobeamte, der Abdul auf dem Boden fixiert, zu Leconte.
Heather nimmt den Pass entgegen und liest laut „Marwan Jahra“. Abdul nickt, so weit ihm das auf dem Boden möglich ist. Der Beamte drückt ein Knie in seinen Rücken und das zweite in seinen Nacken und hat den rechten Arm mit einem Hebelgriff fixiert. „Aus dem Jemen!“, sagt sie zu Leconte.
„Durchsucht beide gründlichst“, sagt der Commissaire, „wir sehen uns den Wagen an.“
Während je zwei Männer Abdul und Sameer zur Leibesvisitation in einen Nebenraum führen, tragen einige Sicherheitskräfte die Torten aus dem Lieferwagen zur Untersuchung nach nebenan in die Küche.
Heather und Leconte sehen sich im nun leeren Laderaum um, während ein Beamter mit einem Sprengstoffhund den Lieferbus umkreist.
Kreuter telefoniert in einer Ecke im Innnenhof und lässt den Pass überprüfen. Schweigend warten sie zu dritt, während ein Team damit beginnt, die Innenverkleidungen des Transporters abzuschrauben.
Purront kommt schon nach 20 Minuten aus der Küche zurück: „Es gibt keine Manipulationen an den Torten. Wir haben sie chemisch und auch mit Metalldetektoren untersucht. Kein Sprengstoff und kein Hinweis auf Gift.“ Ein Schokotortenkrümel hängt in seinem Mundwinkel und darüber muss Leconte grinsen, obwohl ihm eigentlich gar nicht danach ist.
Kreuters Handy läutet. „Ja, ich verstehe“, antwortet er am Ende des Gesprächs und wendet sich dann zu Heather und Leconte. „Marwan Jahra ist zu Besuch hier, er ist vor etwas mehr als zwei Wochen eingereist. Es liegt nichts gegen ihn vor. Er stammt aus einer angesehenen Geschäftsfamilie in Sanaa, die gute Verbindungen und viele Freunde in den Staaten hat. So weit wir das in der Schnelligkeit beurteilen können, ist er als Terrorist unverdächtig – bis auf seine Mitfahrt in diesem Bus.“
„Ja, ja,
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