Attentage
Personen auf den Fotos sind Purront alle unbekannt.
Ein etwas verwegen aussehender Mann um die 40, der offensichtlich arabischer Herkunft ist, steht auf einem derFotos hinter Nicole. Er trägt einen Anzug, dem man auf den ersten Blick ansieht, dass er nicht von der Stange gekauft wurde. Daneben steht ein Paar, das Vater und Tochter sein könnte, wenn nicht auch dieser Mann eindeutig arabischer Herkunft wäre und die Frau eine Asiatin. Sie ist bildhübsch, doch mit dem kurzen Rock und den schwarzen langen Lederstiefeln wirkt sie etwas nuttig. Auf einem weiteren Bild fährt der Mann vom Foto vorher Wasserski. Er wurde von einem Boot aus fotografiert und man sieht den Hafen von Nizza im Hintergrund.
Purront weiß nicht, was er davon halten soll, und legt die Fotos ins Kuvert zurück. Er wird Nicole darauf ansprechen, wenn sie heimkommt. Vermutlich sind es Freunde aus ihrer Zeit in London, die sie besucht haben, aber er kann sich nicht erinnern, dass sie ihm davon erzählt hat. Und dass er von einem Ausflug nach Nizza nichts weiß, ist schon seltsam …
Nicole kommt zwei Stunden später aufgekratzt nach Hause. Sie hat zwar nur einige Kosmetikartikel und Düfte beim Parfümtempel Séphora auf den Champs-Élysées eingekauft, aber ist dennoch gut gelaunt. Purront wartet bis nach dem Abendessen, um sie zuerst nach dem fehlenden Ultraschallbild zu fragen.
Ihre Stimmung wechselt sofort. „Spionierst du mir nach?“, fragt sie gereizt.
„Nein“, versichert Purront, „ich wollte nur …“ Er stockt.
„Was wolltest du?“ Ihre Stimme ist noch immer eine Oktave zu hoch.
„Ich wollte den kleinen Unterschied sehen, den der Arzt entdeckt hat.“
Nicole schmunzelt und lacht dann lauthals. Sie holt ihre Handtasche und kramt die Aufnahme heraus.
„Du hast es zum Shoppen mitgenommen?“ Purront kann sich diese Frage nicht verkneifen.
Nicoles Gesichtsausdruck verfinstert sich wieder. „Ich wollte es einer Freundin bei einem Treffen im Café Beaubourg zeigen. Hast du etwas dagegen?“
Kurz überlegt Purront, nach dem Namen der Freundin zu fragen. Aber er entscheidet sich dafür, lieber ruhig zu sein. Ihre momentane Launenhaftigkeit hat sicherlich mit der Schwangerschaft zu tun. Wegen der Fotos wird er sie morgen fragen. Wenn überhaupt.
Als er sich abends ins Bett legt, ist sie noch munter. Seit einiger Zeit hat es sich eingebürgert, dass er ihr vor dem Einschlafen noch von seinem Tag in der Arbeit erzählt. Nicole stellt oft klügere Fragen, als er erwartet hat. Und will manchmal auch mehr über seine Kollegen wissen, obwohl sie die meisten höchstens flüchtig oder nur aus seinen Erzählungen kennt. Doch da er nun einige Tage Urlaub hat, gibt es nichts Neues zu erzählen.
Purront beschließt den Spieß umzudrehen: „Erzähl doch einmal von deinem Tag. Wie war es mit deiner Freundin? Mit welcher hast du dich denn getroffen?“
„Das hat nicht geklappt. Es ist ihr etwas dazwischengekommen.“ Nicole gähnt. „Ich bin heute viel gelaufen und sehr müde.“ Sie schläft schon lange tief und fest, als Purront noch immer wach liegt und sich unruhig von einer Seite auf die andere wälzt.
SAMSTAG, 5. MAI, 15.10 UHR | PARIS, CAFÉ GLADINES
Leconte versucht mit dem Queue als verlängertem Arm die Billardkugel in einem solch schrägen Winkel über die Bande zu stoßen, dass sie danach zumindest noch eine der zwei anderen Kugeln auf dem Tisch berührt. Doch sie bleibt auf halbem Weg stehen.
„Mmmmh“, brummt sein Lehrer. Das ist wohl als Aufmunterung gedacht. Leconte hat sich mit dem pensionierten Busfahrer, der ihm etwas ungeduldig die richtige Technik beibringt, auf Anhieb verstanden.
Das Läuten des Handys wird von seinem Lehrer mit einem missbilligenden Blick quittiert. Leconte sieht Eriks Nummer auf dem Display. Entschuldigend zieht er die Schultern hoch und nimmt das Gespräch an.
„Sie wollten es ja sofort wissen, wenn sich der Poet wieder meldet“, sagt Erik.
„Ja“, antwortet Leconte nur.
„Wir denken, dass ein neues Attentat in Paris geplant ist.“
„Wer ist wir?“
„Nun ja, ich und die Kollegen hier vom …“
„Der Auftrag war, mir die Nachricht mitzuteilen, und nicht, sie zu diskutieren. Also, was schreibt er?“, unterbricht ihn Leconte.
„Alle wissen nun, der Falsche musste wegen einer Lüge sterben. Ich bringe dafür echte Kugeln statt Billardkugeln nach Paris.“
Leconte ist wie erstarrt.
„Hallo, sind Sie noch dran?“
„Natürlich“, sagt Leconte.
„Verstehen Sie das mit
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