Attentage
den Billardkugeln?“
„Ich weiß genau, was es bedeutet.“
Erik scheint am Telefon auf eine Erklärung zu warten, doch er hört nur den schweren Atem Lecontes, der nun vor die Tür gegangen ist, um ungestört telefonieren zu können.
„Sind Sie okay? Was bedeutet es Ihrer Meinung nach?“
„Es bedeutet, dass ich den Verräter unter uns gefunden habe.“
„Okay. Nachdem Sie daher wissen, dass ich es nicht bin, müssen Sie mir sagen, wer es ist. Sie und wir alle sind in Gefahr, wenn Sie diese Information alleine besitzen.“
„Ich rufe Sie morgen Vormittag an“, sagt Leconte. „Wenn ich verschwinde oder tot gefunden werde, lassen Sie die Telefonate auf meinem Handy überprüfen. Mein nächster Anruf gilt dem Verräter.“
Leconte ignoriert Eriks Proteste und beendet das Gespräch abrupt, um den angekündigten Anruf machen zu können.
„Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen“, sagt er statt einer Begrüßung, „ich hole dich in einer halben Stunde ab.“
„So sieht also dein Urlaub aus“, sagt Purront.
„Manchmal kommt eben alles ganz anders, als man es geplant hat“, antwortet Leconte.
Er bezahlt seine zwei Gläser Pernod und lässt das Murren des Billardlehrers über seinen plötzlichen Abgang kommentarlos über sich ergehen. Erst im Taxi kann der Commissaire wieder etwas klarer denken.
Der Verräter hatte also, wie zu erwarten war, die al-Qaida im Jemen informiert, dass Sheik Ali al-Houthi unschuldigwar. Der Poet war vermutlich jetzt in Gefahr, entlarvt zu werden, und nervös. Aber es ergab keinen Sinn, dass er sich nun an Leconte dafür rächen wollte, dass der Falsche getötet worden war.
Noch schwerer ist für Leconte, zu begreifen, dass ausgerechnet Purront der Verräter ist. Doch nur sein Assistent weiß, dass er das Billardspielen als neues Hobby auserkoren hat. Der Vergleich war mit Sicherheit kein Zufall. Der Poet plante also, nach Paris zu kommen, um ihn zu töten. Da niemand seine Identität kannte, war es auch kaum zu verhindern. Allerdings ist ihm Leconte nun einen entscheidenden Schritt voraus. Denn er weiß jetzt, wer der Informant aus der FISA ist.
Es sind noch mindestens 20 Minuten durch den dichten Verkehr bis zu Purronts Wohnung. Der Taxifahrer versucht die verstopften Hauptverkehrsadern zu vermeiden, indem er parallel verlaufende Seitenstraßen benutzt. Leconte lehnt sich im Fond zurück und schließt die Augen. Er fühlt sich plötzlich schrecklich müde und allein.
SAMSTAG, 5. MAI, 15.45 UHR | PARIS, PURRONTS UND NICOLES WOHNUNG
Purront hat bereits seine Schuhe angezogen und einen leichten Blazer über den Arm gehängt, als er Leconte die Tür öffnet. Es ist ein bewölkter Tag und es weht ein für Mai ungewöhnlich kalter Wind.
„Bist du allein?“, fragt Leconte statt einer Begrüßung.
„Ja“, sagt Purront. „Nicole ist in der Stadt und gibt mein Geld bei einem Juwelier aus. Das kann aber nicht lange dauern – bei meinem Gehalt.“
Normalerweise würde Leconte schlagfertig etwas erwidern, aber er ist noch immer wie gelähmt. Im Taxi hat er darüber nachgedacht, ob Geld das Motiv für Purront ist oder ob seine arabischen Wurzeln und Sympathie für die Anliegen der Extremisten ihn zu solch einem Verrat gebracht haben. Beides erscheint ihm eigentlich unmöglich.
„Dann bleiben wir hier“, sagt Leconte, „da können wir ungestört reden, bis sie kommt.“
Purront ist dieses unerwartete Eindringen in seine Privatsphäre nicht recht, aber Leconte steuert bereits das Wohnzimmer an. Der Commissaire war vor einigen Jahren einmal hier, als Purront ihn und einige Kollegen zu einem Fondueabend eingeladen hatte. Die Stimmung war von Anfang bis Ende frostig gewesen und da nie eine private Gegeneinladung erfolgt war, war es auch bei diesem einzigen Besuch geblieben.
Purront überlegt kurz, ob er den Commissaire darauf hinweisen soll, dass es bei ihnen üblich ist, die Schuheauszuziehen. Aber da sich Leconte bereits in den roten Polstersessel beim Kamin fallen lässt, ist es ohnehin zu spät. Nicole würde sicherlich über den Dreck auf dem weißen Teppichboden ärgerlich sein.
Purront zieht seine Schuhe im Flur aus und stellt sie demonstrativ laut auf die Plastikablage bei der Garderobe. Dann betritt auch er das Zimmer.
„Ich muss die Aufbewahrung deiner Dienstwaffe überprüfen“, sagt Leconte.
„Wie bitte?“ Purront traut seinen Ohren nicht.
„Liegt sie einfach herum?“
Purront versucht die Situation einzuordnen. Nach Dienstvorschrift muss die
Weitere Kostenlose Bücher