Auch Du stirbst einsamer Wolf
seien, die täglich um ihr Überleben kämpfen mußten.
Man kann sie nicht verurteilen, nur weil sie arm waren und kein Zuhause hatten.
Im Zug wurde so gut wie gar nichts gesprochen. Jeder rauchte und schaute auf die Häuser, die draußen vorüberzogen.
Eine richtig trübe Stimmung lag in der Luft. Man kann wirklich sagen, daß es ein beschissener Morgen war. Das monotone Geräusch des Zuges und der leichte Regen, der draußen fiel, machte diesen Morgen noch schlimmer, als er schon war. Ich hing wieder meinen Gedanken nach. Ich dachte an Rita, und vor meinen Augen spielten sich unsere herrlich-sten Tage ab, die wir zusammen erlebt hatten.
Der Zug rollte langsam in Aubagne ein und blieb mit einem lauten Kreischen stehen. Wir mußten sofort aussteigen und uns wieder in einer Zweierreihe aufstellen. Der Caporal zählte uns ab und stellte zufrieden fest, daß niemand abgehauen war. Im Gleichschritt marschierten wir durch das Bahnhofsgebäude.
Die Leute gafften uns alle dämlich an. In einem grünen Militärbus ging dann die Fahrt weiter. Ein paar Minuten später fuhren wir durch das Eingangstor der Kaserne, an dem zwei Soldaten mit Maschinenpistolen Wache standen. Das Kasernenareal glich einer kleinen Siedlung. Unser Bus hielt vor einem eingezäunten Gebäude. Wir mußten alle aussteigen und uns wieder aufstellen. Dann wurden wir in das Haus geführt, wo wir im Gang warten mußten, und mir fiel auf, daß dort ebenso wie in Mulhouse Bilder von so komischen Helden hingen und der Laden blitzsauber war. Die mußten eine ganze Horde von Putzfrauen besitzen, dachte ich mir. Ein paar Minuten später wurden wir wieder über den Hof geführt zu einer kleinen Holzhütte, wie man sie in den Schweizer Bergen sieht. Diese Hütte schien ein Lager zu sein, denn überall standen Kartons und Militärsäcke mit kleinen Zetteln versehen.
In der Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch, hinter dem ein Vollidiot von Caporal saß, denn er sagte gleich zur Begrüßung in drei Sprachen:
»Aha, der neue Schub. Dann wollen wir euch mal die Ärsche aufreißen!«
Dann rief er jeden einzelnen auf und hakte die Namen in einer Liste ab. Darauf mußten wir unsere Mäntel und unsere Zivilkleider abgeben. Den Schmuck durften wir behalten, und ich war wieder einmal froh darüber. Die Privatkleider wurden in große Säcke getan und mit einem Zettelchen versehen. Kurz darauf bekamen wir alle noch eine Tasche, in der Sportkleidung, Unterwäsche und Handtücher waren. Dann wurde uns befohlen, auf dem Hof anzutreten.
Danach ging es wieder ins Haus, in den zweiten Stock, wo sich jeder ein Bett und einen dazugehörigen Spind aussuchen konnte. Dann mußten wir uns duschen und anschließend wieder im Hof antreten.
Nachdem ich meine Sachen im Spind verstaut hatte, zeigte mir einer, der bereits seit einigen Wochen dort war, die Räumlichkeiten. Danach griff ich nach meinem Waschzeug und verschwand in der Dusche. Als ich mich auszog und unter die Dusche stellte, erlebte ich meine erste Überraschung: Es gab kein warmes Wasser, und dabei hatte ich mich auf eine richtig heiße Dusche gefreut. Ich kriegte fast einen Wutanfall.
Da ich aber dreckig war und unbedingt duschen wollte, mußte ich eben mit dem vorliebnehmen, was da war. Damit ich keine Lungenentzündung bekam, sprang ich nach kurzer Zeit wieder unter der Dusche hervor, denn mir war, als würden gleich Eiswürfel aus dem Duschkopf donnern. Für mich war damit der ganze Tag schon im Eimer, aber dafür war ich nun hellwach. Ich trocknete mich ab, zog mich an, schnappte meine Waschutensilien, ging ins Zimmer zurück und gesellte mich dann zu den andern im Hof. Einige hatten nicht geduscht, da ihnen das Wasser zu kalt war. Aber irgendwann mußten sie unter die Dusche stehen, denn die konnten ja nicht wochenlang in diesem Haus rumgehen und wie Dreckschweine stinken.
Kaum hatte sich der letzte gemeldet, als auch schon der Caporal wieder auftauchte. Der meinte zu uns:
»Wir gehen jetzt alle zum Arzt, der euch etwas Blut nehmen wird. Danach könnt ihr in der Kantine frühstücken.«
Wir marschierten aus der Umzäunung heraus auf ein nahegelegenes Gebäude zu. Vor dem Haus mußten wir stehenbleiben, und der Caporal verschwand darin. Ein paar Minuten später wurden wir in das Haus geholt und mußten im Vorzimmer des Arztes warten. Alle bekamen den Befehl, den rechten Hemdärmel hochzukrempeln und sich ruhig zu verhalten. Alphabetisch wurden wir aufgerufen, und einer nach dem anderen verschwand in das
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