Auch Du stirbst einsamer Wolf
bedeutete. Wir fuhren zu Salem in die Wohnung, die ein wenig außerhalb von Marseille lag. Er sprach kein einziges Wort mit mir, denn er wußte, daß es keinen Sinn hatte, dafür war meine Trauer um Jeanette zu groß. Als wir in der Wohnung waren, goß ich mir an der Hausbar sofort einen Whisky ein und trank ihn in einem Zug leer. Das Brennen im Hals tat mir gut, und so schenkte ich mir gleich noch einen ein. Dann nahm ich die Flasche gleich mit an den Tisch, an den ich mich setzte. Ich war nicht in der Lage, irgend etwas zu reden, denn sonst hätte ich gleich losgeheult, das wußte ich. Ich trank einen Whisky nach dem andern. Meine Gedanken schwirrten unkontrolliert in meinem Kopf herum. Einmal waren es die schönen Zeiten mit Jeanette, dann, wie sie tot auf der Straße lag, ich sah wieder den Typ, der sich um seine Limousine kümmerte, als wäre sie wichtiger als Jeanette. Ich mußte sie rächen, den Mistkerl umbringen, der sie getötet hatte. Ein solches Durcheinander hatte ich im Kopf. Ich war kurz vor dem Wahnsinn, als sich Salem an den Tisch setzte und sagte:
»Besauf dich ruhig! Das wird dir guttun, denn ich weiß, wie sehr du sie geliebt hast.«
Nun konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich legte die Arme verschränkt auf den Tisch, den Kopf darauf und heulte mir bald die Seele aus dem Leib.
Salem sagte nur noch:
»Auf das habe ich gewartet. Das ist das einzige Mittel, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und die Sache zu überwinden. Es wird dir mehr helfen als der Suff.«
Fast eine halbe Stunde weinte ich ununterbrochen, und als ich aufhörte, ging es mir ein bißchen besser. Ob es der Whisky war oder das Weinen, wußte ich nicht. Aber ich konnte nun wieder einigermaßen einen klaren Gedanken fassen. Dennoch wollte ich den Kerl töten, der Jeanette auf dem Gewissen hatte.
Also fragte ich Salem:
»Weißt du, wer der Mann war, der sie überfahren hat?«
»Ich habe schon im Krankenhaus und bei der Polizei nachgefragt. Den Namen habe ich nicht erfahren, denn er gehört der obersten Schicht von Marseille an. Er soll angeblich keine Schuld haben, so wie man es mir erklärt hat. Doch möchte ich dir noch sagen, warum ich dich so schnell von der Unfallstelle weggeholt habe. Es war wegen der Polizei, denn die hätten dich genau unter die Lupe genommen, und in deinem Zustand hättest du vielleicht etwas Falsches gesagt.
Nimms mir also bitte nicht übel.«
»Okay, das verstehe ich. Aber der Name von dem Typ muß doch zu erfahren sein.«
»Ich weiß, was du willst, aber du machst dich nur unglücklich damit.«
»Das bin ich doch schon. Ich will mir dieses Schwein vorknöpfen. Dem ist doch sein Auto wichtiger als das Leben eines Menschen.«
»An solche Leute kommst du nicht ran, denn sie stehen ein paar Stufen höher als du und ich.«
Mein Haß auf die Reichen flammte wieder auf, und ich hatte nur noch den einen Wunsch, dieses reiche Miststück zu erschlagen.
»Du hast einmal gesagt, daß du Gewalt nicht magst und lieber mit dem Köpfchen arbeitest. Halte dich weiterhin daran, und du wirst besser durch das Leben kommen.«
»Das, was ich vorhabe, ist keine Gewalt, sondern Rache.«
»Es ist sinnlose Gewalt, auch wenn du Rachegefühle hast. Du willst nur noch zerstören, aber du bist nicht der Typ dazu, denn dir täte es irgendwann wieder leid, und du würdest es dann gerne wieder rückgängig machen.«
Wir saßen eine Zeitlang still da und sagten gar nichts. Ich wußte nicht mehr, was ich machen sollte, denn Salem hatte mich noch mehr durcheinander gebracht, und nun saß ich da wie ein kleiner Junge, der mit seinen Schulaufgaben nicht mehr weiterkam. Warum mußte es immer die kleinen Leute erwischen, fragte ich mich. Ich habe selten gehört, daß ein Bonze überfahren wurde, oder daß ein Bonze ins Gefängnis kam, oder daß einer von ihnen etwas Falsches gemacht hätte in seinem Leben. Nein, immer erwischt es nur die Kleinen, die schon morgens, wenn sie aufstehen, ums Überleben kämpfen müssen. Die Reichen, die sind eine Welt für sich und haben ihre eigenen Gesetze. Was man nicht aus dem Wege schaffen kann, wird mit Geld zugepflastert, damit man es nicht mehr sehen kann. Das ist aber überall so auf der Welt. Die leben in Saus und Braus, und woanders verhungern Menschen auf der Welt, die froh wären, wenn sie nur ein Stück trockenes Brot hätten. Die Reichen kommen immer gut davon, denn sie haben die Macht. Und die Macht ist das Geld. Man müßte ihnen nur das viele Geld wegnehmen,
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