Auch Du stirbst einsamer Wolf
ganze Visage kotzte mich an.
Aber ich wollte aus dieser jämmerlichen Figur wieder einen anständigen Menschen machen. Ich duschte, rasierte mich, zog frische Kleider an und schaute mich dann wieder im Spiegel an. So sah die Sache schon wieder viel besser aus. Ich fühlte mich wieder einigermaßen als Mensch. Dann trank ich einen starken Kaffee mit einem Aspirin, um den Kater wegzuspülen.
Danach packte ich meine Sachen, bezahlte meine Hotel-rechnung und ging zum Bahnhof. Ich wollte nach Marseille zurück und Salem treffen.
Auf der Fahrt nach Marseille erlebte ich eine Überraschung.
Denn als der Schaffner kam, staunte ich nicht schlecht. Es war der alte Mann, der mir und Jeanette den ersten Strafzettel verpaßt hatte. Ich war gespannt, ob er mich wieder erkennen würde. Als er mich sah, blieb er vor mir stehen und sagte:
»Wir kennen uns doch.«
»Ja, wir kennen uns.«
»Aber woher?«
»Aus dem Zug.«
»Ah, jetzt weiß ich es wieder. Du warst der mit dem Mädchen, die sich geschworen hatten, immer schwarzzufahren und dabei aneinander zu denken. Aber wo hast du denn deine Kleine gelassen?«
Mein Gesicht fiel sofort zusammen, und ich sagte mit bedrückter Stimme:
»Sie ist tot. Von einem Wagen überfahren worden, in Marseille.«
»Das tut mir leid, sie war ein nettes Mädchen.«
»Ja, das war sie. Aber jetzt will ich nicht mehr davon sprechen, denn man kann nichts daran ändern, und ich bekomme nur meinen Moralischen.«
»Ja, das kann ich verstehen.«
Dann setzte er sich zu mir ins Abteil, und wir sprachen über ganz belanglose Dinge. Man sah ihm an, daß ihn Jeanettes Tod ein wenig bedrückte, da er sie gekannt hatte, wenn auch nur flüchtig. Er fragte mich nicht nach meinem Ticket, denn er wußte, daß ich keines bei mir hatte.
In Toulon am Bahnhof stieg er kurz aus, um etwas zu erledigen. Bevor der Zug wieder abfuhr, saß er schon bei mir im Abteil. Der alte Mann zog aus seiner Tasche eine kleine Flasche Kognak mit zwei Plastikbecherchen und schenkte jedem von uns etwas ein. Bis Marseille wurde keine Kontrolle mehr gemacht, denn wir tranken das ganze Fläschchen leer und hatten keine Lust aufzustehen, um ein paar Schwarzfahrer zu erwischen. Einmal sagte er:
»Die Schwarzfahrer, die heute im Zug sitzen, haben wieder einmal Glück, denn ich werde heute keinen einzigen Strafzettel verteilen. Das haben sie dir und deiner Kleinen zu verdanken.
Schade, daß sie nicht mehr hier ist.«
In Marseille verabschiedete ich mich von ihm und machte mich auf den Weg zu Salem. Ich freute mich richtig, ihn wiederzusehen.
Als ich vor Salems Tür stand und klingelte, war er es, der mir die Tür öffnete. Er umarmte mich und sagte fröhlich:
»Ich dachte schon, du wärst wieder nach Deutschland zurück.
Du warst eine ganze Woche weg und hast nichts von dir hören lassen.«
Dann ließ er mich los und zog mich in die Wohnung, drückte mich im Wohnzimmer in einen Sessel und fragte mich:
»Na, was hast du alles angestellt?«
Ich hatte noch nicht ein einziges Wort gesagt, und so sagte ich:
»Guten Tag.«
Daraufhin schaute er mich verdutzt an und fing an zu lachen.
»Stimmt, ich habe dich noch gar nicht zu Wort kommen lassen. Also erzähl aber, was du alles gemacht hast. Ich bin neugierig, wie du dich durch die Welt geschlagen hast, in dieser einen Woche.«
»Ich brauche erst etwas zu trinken.«
Er schenkte uns beiden einen Whisky ein, und ich erzählte ihm alles. Er hatte sich fast kaputtgelacht, als er das hörte.
Dann fragte ich Salem nach Ted und Vallerie. Er bekam ein ganz düsteres Gesicht, wie es nur Ägypter kriegen konnten, denn Salem war einer.
»Die beiden sind wie vom Erdboden verschwunden.«
»Was soll denn das heißen?«
»Ted und Vallerie hatten sich gestritten. Ted war angesoffen und schlug Vallerie in seinem Suff windelweich, worauf sie ihn sitzengelassen hat und spurlos verschwunden ist. Ted war bei mir und erzählte die ganze Geschichte, und wir versuchten, sie zu finden. Das gelang uns aber nicht, und kurz darauf war auch Ted wie vom Erdboden verschluckt. Das Drama hat sich genau zwei Tage nachdem du weg warst abgespielt.«
Scheiße! dachte ich. Ted war ein guter Kamerad.
Ich hätte Ted sagen sollen, wohin ich gehe. Dann wäre er mir vielleicht nachgefahren, anstatt abzuhauen. Ich fragte Salem:
»Was wird nun aus den Geschäften, die wir abgezogen haben?«
»Das weiß ich selber nicht. Alleine ist es echt Scheiße, das weißt du selber. Das einzige, was wir machen können, ist
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