Auch Santiago hatte einen Hund
Tipps. Ich zögerte keine Sekunde. Natürlich würde Ajiz bei mir schlafen, keine Frage! In der ersten Nacht in meiner Wohnung richtete ich also seinen Schlafplatz neben meinem Bett. Gerade wollte ich langsam in den wohlverdienten Schlaf hinüberdämmern, als ich ein leises Winseln, dann ein Kratzen vernahm; kurz darauf war er aufs Bett geklettert und ein duftendes (junge nordische Hunde duften!) Wollknäuel hatte es sich auf meinem Kopfpolster, sich im Halbkreis um meinen Kopf schmiegend, bequem gemacht. Er hatte mich also schnell als Familienersatz akzeptiert und war sogar bereit, den gegenseitigen Anpassungsprozess zu beschleunigen! Stolz und auch ein bisschen glücklich nahm ich seinen Vorschlag an. Ich glaube, wir beide verbrachten die erste Nacht in unserem gemeinsamen Leben sehr angenehm. So ging es die ganze Woche, ich hatte mich schon an mein lebendiges Kopfpolster gewöhnt, als ich einem Freund und einstmaligem Hundebesitzer begeistert von unserem raschen und erfolgreichen Integrationsprozess erzählte. Zu meinem Erstaunen war er wenig begeistert, ja warnte mich eindringlich: „Es ist zwar gut, dass er sich so schnell mit dir angefreundet hat, aber wenn du nicht willst, dass er für den Rest seines Lebens bei dir im Bett schläft, musst du schleunigst damit aufhören! Jetzt, als Welpe, riecht er noch gut, aber später als erwachsener Hund wird er auch manchmal äußerst übel riechen, er wird schmutzig sein, er wird haaren. Willst du das auch auf deinem Kopfpolster haben?“ Damit war die Sache entschieden und am folgenden Abend, als Ajiz sich wieder anschickte, auf seinen/meinen Kopfpolster zu klettern, schob ich ihn sanft, aber bestimmt hinunter auf seine Schlafdecke. Und dort blieb er, zu meiner riesigen Überraschung, ohne Widerrede oder Murren, und machte in späteren Jahren auch nie mehr den Versuch, die neue Regel rückgängig zu machen. In den ersten Nächten vermisste ICH meinen lebendigen Kopfpolster, erlitt jedoch nie einen Rückfall, denn erstens war mir drastisch erklärt worden, was die Konsequenzen wären, und zweitens steht in jedem Hundebuch, dass Konsequenz eines der wichtigsten Erziehungsprinzipien ist. Ich hielt mich daran.
2. Kapitel
Die Jakobskirche von Carentoir
Bretagne mittendurch
7
SONNTAG, 27. JUNI
CADORET - LE TEMPLE
So schwer wie heute war mein Rucksack seit meinem Aufbruch noch nie! Da auch Gastfreundschaft durch den Magen geht, und Elisabeth anscheinend befürchtet, ich könnte unterwegs verhungern, hat sie mir ein umfangreiches, mit allerlei Köstlichkeiten angefülltes Lunchpaket zusammengestellt und mich (trotz meiner Proteste, ehrlich!) so weit gebracht, dass ich es im Rucksack verstaut habe. Gott sei Dank ist die für heute geplante Etappe kürzer und im Laufe des Tages werde ich das Lunchpaket wohl zum Schrumpfen bringen. Aber ich habe die Rechnung ohne die Wirte gemacht, sie scheinen mich nur ungern ziehen zu lassen. Ein ausgiebiges Frühstück in AURAY (sollte ich sie zur Eile antreiben? Sicher nicht!), die durch Umwege längere Rückfahrt nach CADORET und, um das Maß voll zu machen, un dernier petit café avant de partir, ein letzter kleiner Kaffee, bevor wir aufbrechen, ergeben in Summe, dass ich erst um halb zwölf wieder Weg unter meinen Füßen habe. Adieu kürzere Etappe, ich kann froh sein, wenn ich’s bis acht Uhr abends nach LE TEMPLE schaffe! LE TEMPLE ist mir deshalb so wichtig, weil mich dort mit der Katharinenkapelle einer der magischen Plätze des bretonischen Jakobswegs erwartet. Im Mittelalter Kommende (Niederlassung) und Hospiz des Templerordens, daher der Name des Weilers, bilden die alte Kapelle und die unmittelbar daneben entspringende Katharinenquelle ein einzigartiges Ensemble mit einer ganz starken Ausstrahlung. Diesen Platz möchte ich unbedingt aufsuchen, auch wenn dies für mich einen Umweg von über einer halben Stunde bedeutet, da er sich nicht direkt am Weg befindet.
Doch wieder einmal kommt es anders als geplant. Zwar ist mein Tempo gut und ich komme noch vor der errechneten Zeit nach JOSSELIN, der bereits dritten cité de caractère auf meiner Reise (unbedingt sehenswert!); aber der verspätete Aufbruch hat bewirkt, dass ich praktisch vom Start weg bei großer Hitze unterwegs bin, was sich ab dem frühen Nachmittag mit zunehmender Erschöpfung und exzessivem Wasserkonsum bemerkbar macht. Die Rast am Kanal bringt nicht die erhoffte Erholung, da die Fliegen bei dieser schwülen Hitze besonders lästig sind und
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