Auch Santiago hatte einen Hund
nur Pilger in ihren Genuss?) gegenüber. Diesmal ist es eine Gruppe gut aufgelegter Jugendlicher, die zu den Tausenden Besuchern des Rock-Festivals gehören, das an diesem Wochenende in dem Städtchen ROHAN stattfindet. An beiden Ufern des Kanals reiht sich Zelt an Zelt, Campingbus an Campingbus (ich mitten durch), überall wird gegrillt, getanzt, oder einfach herumgelegen und Bier getrunken. Die Luft ist erfüllt von ohrenbetäubender Musik, die Stimmung ist gleichzeitig friedlich und ausgelassen, Mini-Woodstock sozusagen. Diese unterlegt zwar meine geliebte und heute aufgrund der Länge der Etappe so wichtige Siesta mit einem dicken Lärmteppich, kann jedoch nicht verhindern, dass ich mich von der Stimmung anstecken lasse. Natürlich falle ich mit Hut, Stock und Rucksack in diesem Umfeld auf wie ein bunter Hund, und so dauert es nicht lange, bis mich einige Festivalbesucher, mit ihren Kronenbourg-Flaschen heftig winkend, einladen, mich zu ihnen zu gesellen. Auch wenn ich ein festes Ziel und einen klaren Zeitplan habe, genießen solche Begegnungen mit den Menschen des Landes immer Vorrang. Da muss ich nachher halt schneller gehen, oder ich komme später an mein Ziel; sei’s drum, ich bin ja nicht auf der Flucht. Pilgern heißt für mich auch und vor allem Begegnung - mit mir selbst, mit anderen Menschen, mit Gott.
Die jungen Leute sind offen, freundlich, neugierig und ganz beeindruckt von meinem Abenteuer. Die Mittagspause liegt gerade eben zehn Minuten zurück, aber man muss die Feste - und Begegnungen -feiern, wie sie fallen, und so lasse ich mir das angebotene Bier schmecken. Und das folgende auch - es ist heiß und schwül geworden. So schön es ist, ich muss weiter, wieder heißt es Abschied nehmen. (Wie sehr doch das Pilgern ein Abbild unseres Lebens ist!) Bisher verging eigentlich kein Tag ohne mindestens eine dieser beglückenden und motivierenden Begegnungen. Mein Weg muss ein guter sein, denke ich mir.
Jetzt wird die Zeit bis zum vereinbarten Treffpunkt mit Thierry aber knapp, also gebe ich auf den verbleibenden zwölf Kilometern bis zur Kanalschleuse von CADORET richtig Gas. Im Schnellschritt brause ich am Zisterzienserkloster TIMADEUC vorbei, wo ich ursprünglich, bevor mich Thierry eingeladen hat, zu übernachten geplant hatte. Schade, denn Aufenthalte in Klöstern zählten auf meinen Pilgerreisen bisher immer zu den Höhepunkten; aber so ist es eben, wählen heißt verzichten. Mir bleiben bis zum Treffpunkt etwas mehr als zwei Stunden. Ich gebe zu, es macht mir Spaß, die Leistungsfähigkeit meines Körpers auszutesten: ein Schnitt von über fünf Kilometern pro Stunde - und das mit dem schweren Rucksack und am Ende eines ohnehin schon langen Tages -bedeutet für mich eine ganz schöne Anstrengung. Aber ich schaffe es, bin sogar zehn Minuten vor Thierry bei der Schleuse!
Auf dem Weg nach Griffet
Auf der Fahrt nach AURAY beginnt mir zu dämmern, warum Thierry, abgesehen von der Freude, mich zu sehen, und der Befriedigung, einen Pilger zu verwöhnen, die Mühe auf sich genommen hat, mich extra abzuholen und morgen wieder zurückzubringen. Seine Ehe mit Elisabeth, bisher fast auf symbiotische Weise harmonisch, manchmal schienen sie mir wie zwei Finger einer Hand, befindet sich in einer schweren Krise, und er hat das Bedürfnis, einem Freund gegenüber sein Herz auszuschütten. Wir sind seit 25 Jahren befreundet, da leihe ich ihm gerne mein Ohr und gebe ihm gerne einen Rat, wenn er mich darum bittet - dazu sind Freunde (und Pilger!) schließlich da. Der Abend verläuft dennoch harmonisch (es gibt fast keine besseren Schauspieler als Ehepaare in der Krise!), Essen und Wein sind wie erwartet exquisit, kurz, ich bereue meine Entscheidung für die „kleine Flucht“ vom Pilgerweg überhaupt nicht.
Erste Schritte im neuen Leben...
„Dein Hund wird seine Geschwister und seine Mutter sehr vermissen, wenn er zu dir kommt. Schließlich waren sie für zwei Monate seine ganze Welt, außerhalb gab es nichts für ihn. Viel wird von den ersten Tagen mit dir abhängen, du entscheidest jetzt zum Beispiel, wo er in Hinkunft schlafen wird. Lässt du ihn bei dir im Schlafzimmer schlafen, wird er sich schneller an dich gewöhnen und weniger traurig sein, aber so wird es dann auch bleiben. Wenn du seinen Schlafplatz von Anfang an irgendwo anders einrichtest, wird er länger traurig sein, mehr Zeit für die Gewöhnung an dich benötigen, aber auch das wird er schaffen.“
Frau Markl gab mir erste wichtige
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