Auch Santiago hatte einen Hund
dankbar angesichts solcher Gastfreundschaft!
Wir bekommen ein eigenes Gästezimmer mit Bad und nach einer ausgiebigen Dusche essen wir gemeinsam zu Abend. Dieser ist zauberhaft! Am Speiseplan stehen praktisch noch alle Gänge von François’ Geburtstagsessen vom Vorabend, von dem so viel übrig geblieben ist, dass es heute immer noch für die vierköpfige Familie und zwei hungrige Pilger reicht. Exquisit! Das Ganze begossen mit Rotwein aus dem Languedoc, den Francois uns zu Ehren aus seinem 2500 (!) Flaschen umfassenden Weinkeller heraufholt. Es mag zwar „unpilgerlich“ sein (aber was ist schon „pilgerlich“?), doch solche Momente zählen schon zu den Höhepunkten eines Pilgertages, sie sind auch für die Seele willkommene Labung. Und keine Angst: Die Gespräche bei Tisch drehen sich natürlich fast ausschließlich um den Jakobsweg.
Anne stammt aus der Bretagne und ist entzückt, als sie erfährt, dass ich vor drei Wochen von ihrer Heimat aufgebrochen bin (und dass es mir dort sehr gut gefällt); Francois kommt aus PARIS. Als sie heirateten, hatten sie die kluge Entscheidung getroffen, sich auf „neutralem“ Boden, eben südlich von POITIERS, abseits der jeweils von ihren Familien und deren Geschichte besetzten heimischen Territorien, eine Existenz aufzubauen.
Bevor Ute und ich uns endlich dem wohlverdienten Schlaf hingeben, reden wir noch lange über diese wunderbare Begegnung, die überwältigende Gastfreundschaft, die uns von vollkommen fremden Menschen entgegengebracht wird, und natürlich über das Pilgern. Ich vermute, wenn Ute dieses nicht so eng im kirchlich-institutionellen Kontext verstünde, sondern im weiteren Sinne als Ausdruck einer spirituellen Suche nach Antworten auf existentielle Fragen, die jeder aus seiner eigenen Geschichte heraus formuliert, dann würde sie sich nicht so dagegen wehren, von mir als Pilgerin angesprochen zu werden. Sie bräuchte dann auch kein schlechtes Gewissen haben (eh nur ein bisschen), wenn sie in den Genuss von „Pilgerprivilegien“ kommt.
Der Friedensstifter
Unser schönstes gemeinsames Jahr, in dem wir beide wirklich zu Partnern und Freunden wurden und in dem die Bindung zwischen uns die Leine tatsächlich zu ersetzen begann, war mein Sabbatjahr 1994/95. Ich verwirklichte damit einen langgehegten Traum, den ich mir übrigens durch meine Ersparnisse finanzierte - so viel Geld braucht man eigentlich gar nicht, wenn man bescheiden lebt, vor allem, wenn man Lebensqualität nicht ausschließlich materiell definiert. Von März 1994 bis Juni 1995 lebte ich in einem alten Steinhaus in den Weinbergen von Saint-Jean-de-la-Blaquière, dem Dorf im Departement Herault im Süden Frankreichs, in dem ich 20 Jahre vorher als Student eher zufällig (per Autostopp) gelandet war. Seither habe ich es so oft besucht und dort so viele Freunde gewonnen, dass ich es als meine zweite Heimat bezeichne.
Mein Sabbatjahr war ein Jahr ohne Terminkalender und ohne Wecker, dafür aber mit jeder Menge Zeit - zum Wandern, Lesen, Kochen, Reisen, Schreiben, Freunde Besuchen, kurz, Zeit zum Leben. Und vor allem Zeit für Ajiz. Er war gerade vier Jahre alt und erwachsen geworden - körperlich natürlich schon viel früher, aber das Gefühl, mit einem „fertigen“ Hund zusammenzuleben, stellte sich erst etwa um diese Zeit ein. Seine Friedensliebe und seine Sanftmut brachten ihm nur Freunde ein, sowohl bei Menschen als auch Tieren, vor allem Hunden, die es in Saint-Jean in großer Zahl gab. Jedes Mal, wenn wir ins Dorf kamen, begrüßte er als Erstes gleich seine Kumpel, die wie er frei herumliefen und die - da bin ich mir sicher - deshalb auch so friedlich waren. Dass er Streit überhaupt nicht ausstehen konnte, auch nicht bei anderen, stellte ich bei einer Wanderung mit meinen französischen Freunden fest, an der außer Ajiz noch zwei Hunde-Weibchen, teilnahmen. Aus irgendeinem Grund begannen die beiden miteinander zu streiten, der Streit drohte auszuarten und „pfotengreiflich“ zu werden. (Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass es dabei um einen Mann, also Ajiz, ging, aber beweisen kann ich es natürlich nicht.) Jedenfalls drehte sich Ajiz, der wie üblich ein Stück vor uns ging, als er hinter sich das Keifen, Bellen und Knurren von Frida und Nica hörte, ganz offensichtlich gestört und verärgert um, war mit zwei Sätzen bei ihnen, fuhr knurrend zwischen die Streitenden und trennte sie voneinander. Das Ganze dauerte nur wenige Augenblicke - und funktionierte! Die
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