Auch Santiago hatte einen Hund
wollte einen Konflikt vermeiden. Angeleinte Hunde beginnen nämlich eher miteinander zu raufen als freilaufende, da sie glauben, ihren Herrn verteidigen zu müssen. Freilaufende hingegen begnügen sich in den meisten Fällen mit dem Ritual des gegenseitigen Beschnupperns und einander Umkreisens. Viel lieber hätte ich den Besitzer des anderen Hundes aufgefordert, diesen anzuleinen, da jedoch weit und breit nichts von ihm zu sehen war, musste ich wohl oder übel, um Gleichheit zwischen den beiden herzustellen, Ajiz von der Leine lassen; nur ganz kurz für die Begegnung, dann sollte er sofort wieder an die Leine. Genau in diesen wenigen Sekunden explodierte in unserer unmittelbaren Nähe ein Knallkörper; weg war Ajiz, zum zweiten Mal an diesem Tag, der Albtraum war noch nicht zu Ende! Sofort nahm ich die Verfolgung auf und rief, schon im Laufen, über die Schulter zurück Heike zu, sie solle im Café einfach auf mich warten. Natürlich war Ajiz schon längst in der Menschenmenge verschwunden, die sich durch die Gässchen wälzte, aber ich lief in Richtung seiner Flucht, die zum Hafen wies, und fragte unterwegs so viele Passanten wie möglich, ob sie ihn gesehen hätten. Oh Glück, er war nicht unbemerkt geblieben, und alle Auskünfte bestätigten meine Vermutung: Die Hafenmole war Ziel seiner Flucht. Hier fand ich ihn schließlich, ängstlich hinter einen Felsen geduckt, inmitten von Kabelrollen und Zündbatterien, in der Höhle des Löwen. Das gigantische Feuerwerk sollte um 22 Uhr, also in knapp zwei Stunden, zum krönenden und donnernden Abschluss der Fête Saint-Louis gezündet werden! Vermutlich wäre der arme Ajiz vor Schreck gestorben, wenn knapp neben ihm mehr als 15 Minuten lang Hunderte von Raketen abgefeuert worden wären...
Ein denkwürdiger und auf seine Weise auch ein Rekordtag ging doch noch glücklich zu Ende!
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DIENSTAG, 13. JULI
CHARROUX - NANTEUIL-EN-VALLÉE
Unsere mit 25 Kilometern kürzere dritte Etappe beginnt mit der Überquerung der Charente, einem Strom, der gleich zwei Departements seinen Namen gibt (Charente und Charente Maritime) und bei ROCHEFORT, nördlich von BORDEAUX, in den Atlantik mündet. Heute genießen wir den Luxus einer Wegmarkierung, wir folgen bis NANTEUIL nämlich einem regionalen Weitwanderweg. Die Begeisterung über die ausgezeichnete Markierung - ich kann endlich drauflosgehen und muss nicht dauernd die Karte studieren - macht aber bald Frust und Ärger Platz, als wir feststellen, dass sie uns über verschlungene, oft verwachsene, anscheinend gar nicht mehr begangene und teilweise absolut unsinnige, weil zickzackführende Wege leitet. Einmal müssen wir sogar umkehren, weil ein Wegstück unpassierbar ist, noch schlimmer als das „Bastardwäldchen“ vom ersten Tag! Auch ich gehe lieber auf Wegen mit natürlichem Untergrund als auf Asphalt, ich nehme dafür sogar kleine Umwege in Kauf, meine Fußsohlen und Gelenke danken es mir. Aber nur solange der Streckenverlauf nicht allzu sehr von der direkten Linie abweicht. Schließlich ist mein Gehen nicht Selbstzweck, ich habe ein Ziel. Doch hier wird die Asphaltvermeidung geradezu zwanghaft betrieben, einige Male habe ich fast den Eindruck, als würden wir nicht nur ins Dickicht, sondern sogar im Kreis geschickt. Mit Utes Einverständnis gehe ich dazu über, mithilfe der Karte von der Markierung abzuweichen, wenn ich den Eindruck habe, dass die Asphaltvermeidung exzessiv wird. Was mag diesen Leuten, die den Weg markierten - und das ist sicher viel Arbeit - durch den Kopf gegangen sein? So gänzlich gegen die Logik eines Wanderers zu markieren, der ja weiterkommen will! Da fällt mir ein, was ich einmal über das an sich ausgezeichnete Netz der Weitwanderwege in Frankreich gelesen habe: Damit ein Wanderweg mit der offiziellen Rot-weiß-Markierung versehen wird - und erst dann gilt er als Grande Randonnée (GR) -, darf er einen bestimmten Prozentsatz an asphaltierten Wegen (ich glaube, es sind 10%) nicht überschreiten; und Nationalstraßen (Routes Nationales) sind überhaupt ausgeschlossen.
Vor Nanteuil-en-Vallée
Kurz vor der Ankunft in NANTEUIL ist noch einmal lautes und kräftiges Fluchen angesagt, eher auf mich selber, weil sich die Markierung, der ich in einem Anflug von Naivität und Leichtgläubigkeit doch wieder vertraut habe, höhnisch lachend von uns verabschiedet, indem sie uns sinnlos und beinahe im Kreis durch schwieriges, unwegsames Gelände führt. Oder sollen wir uns nur noch mehr über die
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