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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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(ca. 1800 m), an deren Abhängen unzählige Bäche und Flüsse entspringen, die auf ihrem Weg ins Rhônetal oder direkt ins Mittelmeer tiefe Furchen ins Land gegraben haben. Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine tief zerklüftete, sehr schwer zugängliche und dicht bewaldete Region, in die hinein und aus der heraus nur wenige enge, steile und extrem kurvenreiche Straßen führen. Einige wenige winzige Dörfer klammern sich an die steilen Hänge oder kauern sich an einen Fluss- oder Bachlauf.
    Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörten die Ce-vennen aufgrund ihrer Jahrhunderte währenden Isolation zu den ärmsten und rückständigsten Regionen Frankreichs. Hauptnahrungsmittel der Cevenols, so heißen ihre Bewohner, war die Esskastanie, wovon die heute noch bestehenden riesigen Kastanienwälder zeugen, die den Großteil des Waldes in den Cevennen ausmachen. Im kleinen Dorf Saint-Gervais-sur-Mare, das übrigens am Pilgerweg nach Santiago liegt, gibt es heute ein Musée de la Châtaigne, ein Kastanienmuseum, das einen faszinierenden Einblick in den harten Alltag der Cevenols von dazumal gewährt. Ihre Unzugänglichkeit machte die Cevennen zum idealen Rückzugsort für verfolgte Gruppen, dorthin flohen sich zur Zeit der in Frankreich wütenden Religionskriege die Protestanten. Die Camisards waren eine Art protestantischer Partisanengruppe, die ihre Religionsfreiheit - oft genauso grausam, wie sie selbst von den Katholiken verfolgt wurden - mit Waffengewalt verteidigte. Noch heute sind die Cevenols überwiegend protestantisch und als rebellisch bekannt. Seit der Frühzeit dienten die Cevennen auch als Sommerweide für die Schafzüchter der Küstenebene. Wenn dort die Hitze für Mensch und Tier unerträglich wurde, das war meistens ab Mitte Juni der Fall, zog man mit Sack und Pack in oft wochenlangen Wanderungen auf den so genannten Drailles, den uralten Treibpfaden, in die kühlen, schattigen Abhänge des Mont-Aigoual oder des Mont-Lozere, wo es auch Wasser in Hülle und Fülle gab.
    Diese uralte Form des Halbnomadentums - im Französischen Transhumance - wird noch heute praktiziert, und das Eintreffen der großen Schafherden aus allen Himmelsrichtungen an den
    Sammelplätzen wird jedes Jahr als Volksfest gefeiert. Schon Robert Louis Stevenson, Autor des Klassikers Die Schatzinsel, liebte es, die Cevennen auf den Drailles zusammen mit seiner Eselin Modestine zu durchstreifen (Travels with a Donkey in the Cevennes, 1879). Heute sind sie ein Paradies für Wanderer und Liebhaber unberührter Natur. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts kann man durchaus von der Wiederentdeckung der Cevennen als Zentrum eines sanften, „grünen“ Tourismus sprechen.
    Mein Begleiter auf den Drailles war keine Eselin, sondern mein treuer Gefährte Ajiz, der das freie „Zigeunern“ mindestens ebenso genoss wie ich. Außerdem glaubte ich uns hier fern von Jägern und anderen Explosionsverursachern, da der größte Teil der Cevennen zum Nationalpark erklärt worden war. Ich musste jedoch erfahren, dass es neben Drachenfliegern, Fesselballons, Gewehrschüssen, Böllern und Überschallflugzeugen noch vieles gab, was Ajiz in panische Angst versetzen und damit seine unkontrollierte Flucht auslösen konnte. Während des famosen Sabbatjahres passierte dies noch zweimal, ausgerechnet in den weiten Kastanienwäldern der Cevennen, wo ich niemand kannte, es also keinen vertrauten „Fluchtpunkt“ (wirklich im wörtlichen Sinne!) gab, wo wir aber außerdem 70 km von unserem Zuhause in Saint-Jean entfernt waren.
    Das erste Mal hatte mir mein Freund Jean aus Montpellier das Haus seiner Schwiegereltern in einem kleinen Dorf in den Cevennen für ein paar Tage zur Verfügung gestellt; von dort aus unternahm ich mit Ajiz lange Streifzüge rund um das Massiv des Mont-Aigoual. Am Nachmittag des zweiten Tages ertönte weit aus der Ferne, ganz schwach, ein dumpfer Knall, wie von einer Sprengung. Ehe ich überhaupt daran dachte, dass dieses Geräusch Ajiz erschrecken könnte, sah ich schon seine Schwanzspitze zwischen den Bäumen verschwinden.
    Gewöhnen konnte ich mich nie daran, der Schreck, die Sorge und der Ärger blieben immer gleich, aber der Handlungsablauf nach seinem Verschwinden wurde mehr und mehr zur Routine:
    1) Abbruch der Wanderung oder dessen, was immer ich zu tun im Begriffe war (eine ausgezeichnete Schulung in puncto Flexibilität!)
    2) Erstes Absuchen der Umgebung in sich spiralförmig erweiternden Kreisen, ausgehend vom Platz des

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