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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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ging dies so weit, dass er mich über Ajiz definierte und nicht wie üblich umgekehrt. Ajiz war für ihn nicht Peters Hund, sondern ich war der „Peter vom Hund“. Nur durch Ajiz hob ich mich in seinen Augen von der Masse der anderen Erwachsenen ab!
     
    30
    MITTWOCH, 21. JULI
    WALD BEI SAINT-MARTIN - SAINTE-FOY-LA-GRANDE
     
    Regnet es in der Hölle? Wenn ja, dann bin ich dort.
    Um halb sechs weckte mich ein gewaltiger Donnerschlag, dann noch einer und noch einer, schließlich fielen die ersten Tropfen. Ich hatte gerade noch Zeit, Teewasser überzustellen und meine Ausrüstung mit dem Regenponcho abzudecken, als das Gewitter unmittelbar über mir losbrach, mit einer Gewalt, die mich das Schlimmste befürchten ließ. Eng an den Stamm meiner Akazie gepresst, die kaum Schutz vor dem Regen bot, trank ich stehend meinen Tee, aß ein Stück Brot und hoffte, dass das Unwetter bald weiterziehe. Über eine Stunde später, es war dreiviertel acht, sah ich endlich ein, dass es mir diesen Gefallen nicht tun würde, nützte ein leichtes Nachlassen des Regens zum hastigen Zusammenpacken und stellte mich meinem Schicksal. Gestern war ich kurz nach der Mittagspause auf die Markierung eines Weitwanderweges gestoßen, dem ich seither folgte. Laut Karte sollte ich auf ihm in etwa eineinhalb Stunden eine Ortschaft erreichen. Bis dorthin würde ich mich durchbeißen (schwimmen wäre besser), dort würde ich mich bei einer riesigen Tasse heißen Kaffees im Dorfcafé aufwärmen und meine Sachen trocknen. Ja, so stellte ich mir das vor und der Gedanke daran ließ mich durch die erbarmungslos herunterprasselnde Regenwand weitergehen, über eine graue, an den Wassermassen beinahe erstickende menschenleere Landschaft.
    Nun folge ich brav der rot-weißen GR-Markierung, schon um einiges länger als die geschätzten eineinhalb Stunden, aber nicht einmal die üblichen Anzeichen für eine Ansiedlung - einzelne Häuser, Reklametafeln usw. -, geschweige denn das Dorf selber, sind zu sehen. Am Rande eines Weinfeldes stoße ich auf die ersten Menschen seit gestern Mittag (die beiden Frauen in MONTPON), es sind Landarbeiter, die unter dem Traktoranhänger, den sie mit alten Rebstöcken beladen hatten, Zuflucht vor dem Unwetter suchten. Auf meine Frage, wie weit es noch bis zum Dorf sei, antwortet einer von ihnen „Noch weit“ und grinst dabei eigenartig. Mehr ist aus ihm nicht herauszubringen. Er scheint mich wohl für einen Idioten zu halten, was ich ihm nicht übel nehmen kann. Wer bei so einem Wetter zu Fuß unterwegs ist, muss ein Idiot sein. Es ärgert und verwundert mich aber die Tatsache, dass ich keine weitere und genauere Auskunft von ihm bekomme. 15 Minuten später verstehe ich alles und bleibe vor Zorn und Frustration schreiend auf der Straßenkreuzung stehen, wo ein Schild Entfernung und Richtung zum von mir angepeilten Dorf anzeigt: 2,3 Kilometer nach Norden. Da komme ich aber doch gerade her! Des Rätsels Lösung ist einfach: Meine Karte ist nicht mehr auf dem neuesten Stand, der GR wurde umgeleitet, die neue Markierung führt in einiger Entfernung südlich am Dorf vorbei. Adieu Bistro, adieu heißer Kaffee, denn zurück gehe ich auf keinen Fall. Jetzt gehe ich einfach so lange, bis ich zu einem Haus komme, und dort frage ich, ob ich mich unterstellen darf. Meinem ersten Versuch ist kein Erfolg beschieden, ein offensichtlich vom Anblick eines bärtigen, völlig durchnässten fremden Mannes mit Rucksack, Stock (möglicherweise Waffe!) und ausländischem Akzent verängstigter älterer Mann schlägt mir fast die Tür vor der Nase zu. Doch beim zweiten Versuch geschieht wieder etwas, das meine Überzeugung beschützt zu werden verstärkt. Bei einem Weinbauern wenig später (wir sind im Bergerac-Weinbaugebiet) werde ich freundlich empfangen und darf mich am riesigen Eichentisch im Weinkeller ausbreiten, d. h. alle nassen Sachen ausziehen und -packen (viel bleibt nicht mehr im Rucksack). Nach ein paar Minuten erscheint der Hausherr wieder und stellt ein Tablett mit Kaffee, Milch, Zucker und Keksen vor mir auf den Tisch: „Du brauchst sicher eine Stärkung“. Frustration, Zorn und Erschöpfung fallen in dem Augenblick von mir ab und ich bin wieder ein zufriedener, glücklicher Pilger. Als ich gegen Mittag aufbreche - der Regen hat aufgehört, die Sonne scheint, hurra! -, möchte ich eine Flasche Wein zum Mitnehmen kaufen, es ist einerseits sowieso Zeit zum Nachtanken, andererseits möchte ich wenigstens auf diese bescheidene Weise meine

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