Auch Santiago hatte einen Hund
Freund gerne gelegen war, eigenartig reagiert. Wir haben dieses Verhalten natürlich menschlich interpretiert und waren (und sind) davon überzeugt, dass auch Ajiz um ihn trauerte. Für mich war es aber gleichzeitig der erste eindringliche Hinweis, dass sich auch Ajiz schon im letzten Lebensviertel befand und die Stunde des Abschieds näher rückte...
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DONNERSTAG, 22. JULI
SAINTE-FOY-LA-GRANDE - PELLEGRUE
Mein Optimismus gestern Abend war gerechtfertigt, die Zerrung ist fast abgeklungen. Es tut schon noch weh, aber ich kann weitergehen. Zuerst raus aus der Stadt, leicht humpelnd, das rechte Bein schonend, bis sich die Muskulatur aufgewärmt hat. Dann fast normal. Start war heute schon vor acht Uhr früh, ich möchte die Frische des Morgens so lange wie möglich ausnützen. Zwar könnte ich noch früher als halb sieben aufstehen, doch an solche unmenschlichen Aufstehzeiten - an sich bin ich ein Langschläfer - muss ich mich erst vorsichtig herantasten. So gesehen ist die Zeit von heute gar nicht so übel.
Gleich nach der Stadt, südlich der Dordogne, beginnt das berühmte BORDEAUX-Weinbaugebiet, mein Weg führt mittendurch. Chateau reiht sich an Chateau, zwischen sorgfältig gepflegten Weinbergen (für mich Fußgänger sind es wirklich Berge, siehe auch unter „Hanglage“) erklimme ich Hügel um Hügel. Es macht Spaß, mir meinen Weg durch die berühmtesten appelations zu bahnen, die Trauben praktisch in Griffweite. Schade, dass sie noch nicht ganz reif sind: In ein paar Wochen könnte ich meine Pilgerreise mit einer Traubenkur kombinieren. Ringsum herrscht lebhaftes Treiben, denn viele Weinbauern sind auch schon seit den Morgenstunden mit ihren Traktoren auf den Feldern unterwegs. Ein Anblick, der mir von meiner Zeit in Südfrankreich her vertraut ist und heimatliche Gefühle weckt. Doch die immer früher - so kommt es mir jedenfalls vor - den Tag in den Schwitzkasten nehmende Sonne sorgt dafür, dass diese idyllischen Gefühle nicht ausufern. Zumal die Weinfelder weitgehend baum- und damit schattenfrei sind. So kämpfe ich mich in der prallen Sonne über manchmal recht anständige Steigungen LA REOLE entgegen, meistens auf Asphalt (heute schätzungsweise zu 90%). Jetzt fliegen die Gedanken nicht mehr frei und beschwingt, Gehen und Denken sind nicht mehr permanente Meditation, wie etwa entlang der Rigole in der Bretagne. (Wann war das eigentlich, letztes Jahr?) Heute heißt es nur: Wann bin ich oben auf dem Hügel? Wann kann ich wieder im Schatten gehen? Wann habe ich das hinter mir? Wann ist Pause?
Für die Mittagsrast finde ich tatsächlich einen Baum am Ufer eines Bächleins, der mir Schatten spendet. Doch der Boden ist vom nächtlichen Gewitter noch so nass, dass die erträumte Siesta ein Wunschtraum bleibt. Außerdem zwingt mich der wandernde Schatten, immer feuchtere Stellen unter dem Baum aufzusuchen, um der unbarmherzigen Sonne zu entkommen. Gut, ich kann eine Weile sitzen, essen und trinken, aber unter ausruhen stelle ich mir etwas anderes vor. In wenigen Kilometern werde ich die nächste Ortschaft erreichen, PELLEGRUE, dort setze ich mich ins Café und warte bei einem Bier, bis die ärgste Hitze nachlässt. Am Vormittag bin ich ein schönes Stück vorangekommen, die acht Kilometer bis zum Kloster SAINT-FERME schaffe ich locker auch am späten Nachmittag. Unmittelbar neben dem Café entdecke ich das Tourismusbüro, das nach der Mittagspause gerade wieder aufsperrt. Eine gute Gelegenheit, mich mit Lektüre für die Zeit im Café einzudecken, denke ich mir. Diese Entscheidung erweist sich als absoluter Volltreffer (langsam sollte ich aufhören, mich darüber zu wundern)! Neben Wissenswertem über den schönen Ort erfahre ich nämlich - eigentlich habe ich nur beiläufig, eher aus Gewohnheit, gefragt - dass das einst mächtige Benediktinerkloster in SAINT-FERME nicht mehr existiert und im Klostergebäude jetzt das Gemeindeamt untergebracht ist. Damit kann ich die klösterliche Übernachtung und überhaupt SAINT-FERME ad acta legen, denn Alternativen gibt es dort nicht. Schade, es wäre genau auf halber Strecke zwischen SAINTE-FOY und LA REOLE gelegen. Hier in PELLEGRUE gibt es jedoch eine Pilgerherberge, seit kurzem. Gut, dann bleibe ich gleich hier, nehme mir für den Nachmittag Hitzeferien.
Die Herberge, eine kleine adaptierte Wohnung, ist mit dem Notwendigsten ausgestattet - Dusche, Kochplatte, zwei Stockbetten. Ich finde sie anstandslos, ins Straßenpflaster eingelassene kupferne
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