Auch Santiago hatte einen Hund
lecken, er hielt ihm dazu auffordernd den zur Seite geneigten Kopf hin, was unter Tieren als außergewöhnlicher Liebesbeweis gilt. Und Romeo - schwarz wie sein großer Freund Ajiz - kuschelte sich manchmal an dessen Bauch, sodass man ihn gar nicht mehr sah; auch teilte er seinen Fressnapf anstandslos mit Ajiz, der Katzenfutter über alles liebte.
Einer seiner besten Freunde war aber Yuma, ein karelischer Bärenhund wie er, der meinen Freunden Heide und Herwig in Wien gehörte. Bei meinen zahlreichen Wienaufenthalten gewähren sie mir schon seit über 20 Jahren ihre herzliche Gastfreundschaft, und natürlich war Ajiz, seit er in mein Leben getreten war, ebenso willkommen wie ich. Sie lieben Hunde, waren früher selbst Hundebesitzer (Boxer) gewesen, wollten sich dies nach Jahrzehnten der Hinwendung zu und Fürsorge für Hunde jedoch nicht mehr antun, sondern Zeit und Energie vermehrt ihrer großen Leidenschaft, dem Reisen, widmen. Da kam ich ihnen mit Ajiz gerade recht: Durch ihn hatten sie nun wieder an einem Hundeleben Anteil, ohne volle Verantwortung tragen zu müssen. Während meiner - seit Ajiz bedeutend seltener gewordenen -Überseereisen nach Lateinamerika und Afrika nahmen sie ihn gerne in Pflege, und ich wage zu behaupten, dass alle Beteiligten davon profitierten. Allen voran natürlich ich, ich konnte reisen und wusste Ajiz gut aufgehoben - mit Sicherheit besser als in einer Hundepension das Haus in der Braungasse war im Laufe der Jahre zu seiner zweiten Heimat geworden. Und meine Freunde waren hin und wieder Hundeeltern auf Zeit, eine Rolle, die ihnen sichtlich Spaß machte.
Eines Tages nahm mich Herwig auf die Seite und bat, nachdem er mir vorher das Versprechen abgenommen hatte, Heide nichts davon zu erzählen, um die Telefonnummer der Züchterin Frau Markl. Ajiz, vor allem sein zurückhaltender und unabhängiger Charakter, gefalle ihm so gut und er könne sich wieder einen Hund im Haus vorstellen - auch wenn seine Frau dagegen sei. Denn, und da hatte sie sicher Recht, die Arbeit hätte ja doch sie, er als vielbeschäftigter Uniprofessor sei tagsüber praktisch nie zu Hause. Bei mir überwog - ich gestehe es - die Männersolidarität und die Freude über die Anerkennung der Qualitäten meines Hundes aus dem Mund eines kritischen Kenners. So machte ich mich bereitwillig zu Herwigs Komplizen und half ihm bei seinem Hundekomplott. Wenige Wochen darauf fuhr er „zu einem Kongress nach Amsterdam“ und stand ein paar Tage später um ein Uhr früh mit einem zwei Monate alten schwarz-weißen Pelzknäuel, todmüde, aber über das ganze Gesicht strahlend, wieder vor der Haustür in Wien. Frau Markl hatte ihm den Kontakt zu einer dänischen Züchterin vermittelt, der „Kongress“ in Amsterdam war in Wahrheit die Abholaktion des karelischen Welpen. Sie nannten ihn Yuma, nach einer kleinen Stadt in Karelien. Heide war zuerst fuchsteufelswild über Herwigs Alleingang, aber ihr Widerstand schmolz angesichts des entzückenden Fellknäuels so rasch wie Schnee in der Frühjahrssonne.
Von da an hatte Ajiz einen Freund praktisch aus der Familie, fast schon einen kleinen Bruder, der ihn freilich größenmäßig bald überholte - schönheitsmäßig natürlich nie! Dafür, dass beide dominante Rüden waren, vertrugen sie sich ausgezeichnet, lediglich ihr Fressen durfte man nie gleichzeitig und nebeneinander servieren, sonst krachte es unweigerlich.
Ajiz fühlte sich in seiner zweiten Heimat so wohl, dass ich mir objektiv keine Sorgen um ihn machen musste. Subjektiv war das ganz was anderes, besonders an meinen Träumen merkte ich, dass mir (oder meinem Gewissen) die Trennung von Ajiz sehr wohl zu schaffen machte. Nach einer Nacht, in der ich wieder einmal von einem überfahrenen Ajiz geträumt hatte, rief ich doch - auf die Gefahr, mich lächerlich zu machen - in Wien an, um mich von seinem Wohlergehen zu überzeugen. Die Antwort von Heide war kurz und klar, ich glaubte sogar einen leichten Hauch von Triumph in ihrer Stimme mitschwingen zu hören: „Du brauchst gar nicht zu glauben, dass du ihm abgehst!“ Bei meiner Rückkehr nach Wien ein paar Wochen später, ich freute mich wahnsinnig, ihn wiederzusehen, begrüßte er mich am Gartentor tatsächlich alles andere als überschwänglich, fast beiläufig, als würde er nur sagen. „So, bist also auch wieder da.“
Im Frühjahr 2003 ist Yuma an Krebs gestorben, mit nur elfeinhalb Jahren viel zu früh. Ajiz hat noch Monate nach Yumas Tod an den Plätzen, an denen sein
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