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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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südlichen Zubringers zum österreichischen Jakobsweg nach Innsbruck - er verlief auf ca. 600 km von Graz südwärts bis Marburg, dann die Drau aufwärts durch Slowenien, Kärnten und Osttirol bis zu ihrer Quelle, um schließlich über das Pustertal und den Brenner nach Innsbruck zu gelangen - war praktisch abgeschlossen. Um einige Details des Wegverlaufs zu klären, wollte ich eine Strecke von etwa einer Woche noch einmal „pilgermäßig“ - also ohne Verzögerung durch Suchen - gemeinsam mit zwei Freunden abgehen; Ajiz war natürlich dabei.
    Zu viert brachen wir an einem schönen Montagmorgen von Marburg nach Villach auf. Schon am ersten Vormittag tranken wir köstlichen Weißwein im von Erzherzog Johann gegründeten Weingut Meranova und bekamen nicht einmal eine Stunde später von einem Weinbauern einen Liter seines Eigenbau-Rotweins in einer Karaffe kredenzt - er ließ uns nicht weitergehen, bevor die Karaffe geleert war! Abends bereiteten wir im Vorbau der Anna-Kapelle in Pusçava gerade unser Abendessen zu, als das Ehepaar, das neben der Wallfahrtskirche wohnte, mit Bier für Heinz, Udo und mich vorbeikam. Wir akzeptierten den für unsere Verhältnisse exzessiven Alkoholkonsum, weil wir die Freude, uns etwas Gutes zu tun, die dahintersteckte, achten wollten. Und, sagten wir uns, einen Tag halten wir so was wohl aus. (Ajiz ging es auch gut: Entlang der Drau hatte er immer wieder Gelegenheit, im Brunnen eines der zahlreichen Bauernhöfe bis zum Bauch im Wasser stehend gleichzeitig zu trinken und sich zu erfrischen.)
    Am folgenden Tag ging es etwa in dem Stil weiter, vielleicht etwas gemäßigter. Aber Bier und Schnaps bei einem Bauern waren nicht zu umgehen - ehrlich gesagt wollten wir auch nicht, die Rast war willkommen - und die Flasche Wein, die Pfarrer Ernest in Vuzenica am Abend für uns öffnete, stieß auch nicht auf allzu großen Widerstand. Ajiz war sichtlich müde und ich bemerkte, dass er dankbar alle Pausen begrüßte, die wir einlegten. (Satteltaschen bürdete ich ihm schon lange nicht mehr auf.) Nachdem wir den slowenischen Teil des Drautals und die überwältigende Gastfreundschaft seiner Bewohner hinter uns gelassen hatten, ging es durch das überwiegend slowenische Südkärnten, übrigens landschaftlich bezaubernd, weiter nach Westen. Bis jetzt schien es Ajiz genauso gut zu gehen wie uns, er zeigte keine Anzeichen von Erschöpfung oder gar Schmerzen. (Heute weiß ich, dass es ein Fehler war, darauf zu warten, denn er war so tapfer und treu, dass er mit mir mithielt, auch wenn er bereits litt und eigentlich nicht mehr konnte. Möglich, dass ich mir gegenüber jetzt zu streng bin und diese letzte gemeinsame Pilgerreise für Ajiz gar nicht so schlimm war, versuche ich mich zu trösten.) Den Abend des fünften Tages, an dem wir in Ferlach in einem Gastgarten saßen, werde ich jedoch nie vergessen. Plötzlich, ohne jeden ersichtlichen Grund (das war ja das Problem, dass ich nichts bemerkt hatte oder bemerken hatte wollen) begann Ajiz - er lag friedlich ausgestreckt im kühlen Flur des Gasthauses - vor Schmerzen zu jaulen und wollte sich trotz Streicheln und sanftem Zureden meinerseits lange nicht beruhigen. Udo und Heinz, beide (Human-)Ärzte, vermuteten eine Muskelzerrung, konnten aber nicht ausschließen, dass ein Zusammenhang mit der Arthrose oder mit dem Umstand bestand, dass Ajiz am Vormittag grund- und ansatzlos von einem Schäferhund angefallen worden war. (Den ich übrigens voller Zorn mit einem so kräftigen Hieb auf den Rücken vertrieben hatte, dass mein Pilgerstab fast zerbrach.) Ajiz konnte kaum aufstehen, er musste große Schmerzen im Hinterlauf haben. Auf meinen Armen trug ich ihn zurück zu unserer Unterkunft. Es war klar, dass ich die Tour abbrechen musste, sollte es ihm am nächsten Morgen nicht besser gehen. Doch oh Wunder! Bei einer ersten Proberunde vor dem Aufbruch humpelte er zwar noch leicht, doch einmal warmgelaufen schien er wieder der Alte zu sein. (Der Alte war er ja wirklich.) Die zwei Etappen bis Villach waren kürzer als die vorhergehenden, also nahmen wir sie doch wieder in kompletter Besetzung in Angriff. Wir schafften es, doch zu meiner Bewunderung für den tapferen Ajiz gesellte sich auch Wehmut. Der letzte Abschied hatte begonnen...
     
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    SAMSTAG BIS DIENSTAG, 24. bis 27. JULI
    BASISLAGER LA RÉOLE
     
    Vor ein paar Minuten bin ich aus dem Swimmingpool (eigentlich eine größere Plastikbadewanne zum Plantschen) geklettert, in dem ich mit Sibylle, der jüngsten

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